Wirtschaftlicher Erfolg der Arztpraxis: „Ärzte bieten häufig gar nicht an, was Patienten wollen“
André BernertViele Ärzte haben Schwierigkeiten, das volle wirtschaftliche Potenzial ihrer Arztpraxis auszuschöpfen. Welche Fehler am häufigsten gemacht werden und wie es gelingt, die Praxis auch finanziell wieder auf Erfolgskurs zu bringen, erklärt André Bernert, Inhaber und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens <a href=„http://www.m-mp.de/“ target=„_blank“ rel=„noopener noreferrer“>MMP</a>, im folgenden Interview.
Viele Arztpraxen sind weit davon entfernt, ihr Umsatzpotenzial voll auszuschöpfen. Woran liegt das?
Bernert: Es gibt drei Erfolgsfaktoren in Praxen, die von nicht ganz so erfolgreichen Praxen stiefmütterlich behandelt werden. 1. Das Team und die Kommunikation in der Praxis. 2. Der Patientenmix und das richtige Marketing dazu. 3. Die Terminvergabe, die wirtschaftlich optimiert und trotzdem konfliktfrei und ethisch sauber sein kann.
Welches sind denn die Top-5-Fehler, die in dieser Hinsicht von niedergelassenen Ärzten gemacht werden?
Bernert: 1.: Es gibt lediglich eine oberflächliche, also keine richtige Transparenz über die Zahlen in der Praxis. Die Daten des Steuerberaters sind stark zeitversetzt und sagen nichts über den Zeiteinsatz der Ärzte und Mitarbeiter aus. Dieser ist jedoch entscheidend für den Erfolg.
2.: Die „Produktionsmaschine“ ist gleichzeitig der Chef. In keinem anderen Unternehmen ist das der Fall. Dem Arzt bleibt somit kaum Zeit sein Unternehmen zu steuern. Zumeist reagiert er symptomatisch auf Probleme, weil für die ursächliche Behebung keine Zeit ist. Ärzte, die aus diesem Hamsterrad herauskommen, sind wesentlich entspannter. Das allein zu schaffen, ist aber kaum möglich.
3.: Praxisblindheit – diese ist natürlich und lässt sich nur mit einem Trick abstellen. Unser Rat ist am Wochenende die Praxis aus Patientensicht zu begutachten. Was stört unterbewusst oder sogar offensichtlich. Kein Wasser im Wartezimmer ist ein beliebtes Beispiel.
4.: Über 80 % der Zeit ist der Arzt im Sprechzimmer. Er bekommt also gar nicht mit, was vorne am Empfang vor sich geht. Die Patientenzufriedenheit ist oftmals zweigeteilt – einmal wird der Arzt und einmal der ganze Rest bewertet.
5.: Es herrscht eine große Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Ärzte bieten häufig gar nicht das an, was Patienten eigentlich wollen – ich sage nicht verkaufen, sondern anbieten, das ist ein Unterschied. Anbieten kann man schulen, verkaufen gehört nicht in eine Praxis.
Niedergelassene würden gerne mehr Zeit für den Patienten haben, aber auch wirtschaftlich erfolgreicher Arbeiten. Geht das überhaupt?
Bernert: Das lässt sich nur dann vereinbaren, wenn der Praxisinhaber eine klare Trennschärfe festlegt, was Kassenleistung ist und was nicht. Dann erst kann ein Angebot dargestellt werden, was Patienten aber auch verstehen müssen, nicht zu medizinisch. Nur was Patienten verstehen, können Sie ggf. auch haben wollen. Bei über 1.000 Patienten pro Quartal ist das Patientenmarketing in der Praxis entscheidend, um genau die Patienten zu „treffen“, die die entsprechende Wertschätzung für die Praxis und sich selbst haben. Sie nehmen Zusatzangebote in Anspruch. Es ist nicht trivial, aber dreifach erfolgreich: höhere Medizinqualität, mehr Umsatz, bessere Stimmung bei allen.
Im EBM-Bereich finden wir auch regelmäßig Umsatzpotenziale. Hier sind die Praxen aber sehr unterschiedlich aufgestellt. Neulich hatten wir eine Einzelpraxis, die 27 T€ mehr EBM-Umsatz je Quartal gemacht hat, nachdem wir den Bereich optimiert haben. Sowas ist immer schön, weil wir uns dann sehr schnell gerechnet/amortisiert haben. Hier muss man jedoch jede Praxis ganz individuell betrachten.
Und gibt es Punkte, die besonders erfolgreiche Praxen gemeinsam haben? Also so eine Art Erfolgsrezept?
Bernert : Jede Praxis ist anders und hat individuelle Erfolgsfaktoren, die es immer erst zu entdecken gilt. Aber: Alle Praxen, die wesentlich erfolgreicher sind als der Rest, haben drei Dinge implementiert.
- Controlling – monatliche Transparenz über das Zahlenwerk und den Zeiteinsatz in der Praxis, um schnell Entscheidungen treffen und die Praxis aktiv steuern zu können.
- Professionell aufgebautes Zeit- und Terminvergabemanagement, was über die reine Patientenversorgung hinaus geht.
- Ein übertariflich und motiviertes Praxisteam, kommunikationsstark und organisiert. Zudem einen wertschätzenden Chef. Größere Praxen haben außerdem eine echte Praxismanagerin, die keine Verwaltungsunterstützung darstellt, sondern eine Kraft mit festgelegten Funktionen, Aufgaben und Führungskompetenzen.
Gibt es Tools/Strategien, die jeder Arzt in seiner Praxis einsetzen sollte?
Bernert: Mich als BWLer wundert immer wieder der „Zahlen-Blindflug“, den viele Praxen wagen. Erst wenn das Geld knapp wird, fragen uns viele Ärzte – das finde ich ziemlich spät. Ein professionelles Praxiscontrolling bringt in der Regel ein ca. 22-25 % höheres Betriebsergebnis.
Entscheidende Tools sind außerdem die Lob- und Tadelbilanz, qualifizierte Teambesprechungen und Personalgespräche nach festen Vorgaben bzw. Leitfäden. Das sind Führungsinstrumente, die es in jedem Unternehmen gibt, dass eine gewisse Größe erreicht. Bei vielen Ärzten ist das immer noch anders. Warum weiß ich nicht. Aber es ist klar, dass es von den meisten Ärzten unterschätzt wird, was es bringt, sich mit dem Unternehmen Praxis etwas professioneller aufzustellen. Viele andere Branchen machen es vor.
Allerdings kann ich die Ärzte auch gut verstehen, da sie ja eigentlich einfach Arzt sein wollen und das Drumherum als lästig empfinden. Das ist auch genau das Angebot von uns Beratern: „Lieber Arzt, lass Dir Managementaufgaben abnehmen, dann kannst Du mehr Zeit für die Sprechstunden nutzen. Finanziell bringt das in der Regel mehr, als der Berater kostet.
Der niedergelassene Arzt ist im Grunde ein Unternehmer und überraschend oft von dieser Rolle überfordert. Fehlt es den Medizinern hier an der Zeit oder eher am Know-how?
Bernert: Eindeutig an Know-how. Ärzte sprechen gerne mal von Unkosten oder fokussieren die Dinge in der Beurteilung der Praxis, die zwar einfach und offensichtlich, aber meistens nicht der Schlüssel zum Glück sind. Beispiel: Personalkosten 48 % der Kosten machen die Personalkosten aus. Liegt ein Arzt drüber, dann ist der Schluss daraus jemanden zu entlassen. Dieser Indikator ist in den meisten Fällen falsch, weil dieser Wert losgelöst ist von jeglicher Erfolgskomponente. Vielmehr ist zu prüfen ob der durchschnittliche Umsatz/je Mitarbeiterstunde zwischen den gesunden Grenzen 80-120 € liegt. Erst dann wird abgebildet, wie effizient das Team arbeitet. Liegt der Wert beispielsweise bei 102 Euro, kann das Team auch überdurchschnittlich verdienen – der Arzt tut das dann ja auch.
Ich sage ja immer zu den Ärzten, dass es richtig ist, sich in betriebswirtschaftlichen, organisatorischen und Führungsangelegenheiten in der Praxis helfen zu lassen. Schließlich nehme ich mir als Betriebswirt und Gesundheitsökonom ja auch nicht selbst die Mandeln heraus. Scherz beiseite: Liebe Ärzte, hören Sie auf immer alles lernen zu wollen, manche Dinge muss man auch einfach nur beurteilen können und nicht auswendig gelernt haben – wie z. B. Steuern, Deckungsbeiträge, Benchmarks, Praxisorganisationsoptimierung, Hausbauen, Kfz reparieren, Teamoptimierung, Praxiscontrolling, Praxistrategie, etc.