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Geldanlagen

Es ist Fakt: Deutschland hat bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens erheblichen Nachholbedarf. „Wir sind weit entfernt von dem, was andere schon längst realisiert haben“, sagt Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen konnte sich bei einem Besuch in Dänemark – einem Musterschüler in Sachen digitales Gesundheitswesen – selbst davon überzeugen, was heute bereits möglich ist. Ähnlich innovativ läuft es in Estland oder allem voran Singapur. „Deutschland zeigt bisher leider oftmals nur, wie es nicht geht“, so Gerlach.

Sektorübergreifende digitale Patientenakte von hoher Bedeutung

Dabei ist hierzulande angesichts von Kostendruck und demografischer Entwicklung eine stärkere Digitalisierung der Leistungserbringung gefragter denn je. „Wie in vielen anderen Gesundheitssystemen auch, haben wir in Deutschland ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung“, erklärt Gerlach. Neue Technologien könnten helfen, das zu verbessern. So sei die Einführung einer elektronischen Patientenakte, mit der alle Sektoren arbeiten können, ein erster wichtiger Schritt.

IT für Klinik- und Praxisverwaltung wächst bisher am stärksten

Das sieht auch Kai Brüning, Manager mehrerer globaler Gesundheitsfonds bei der apoBank-Tochter apoAsset, so und ergänzt: „Digital Health ist weltweit sehr vielfältig, von der Telemedizin über Big-Data-Analysen mit Künstlicher Intelligenz bis zum Diabetesmanagement mit dem Smartphone.“ Starken Zulauf erhalte zum Beispiel der Telemedizin-Anbieter Teladoc in den USA. Vor allem komme das starke Umsatzwachstum bisher durch IT-Systeme, mit denen Krankenhäuser und Arztpraxen ihre Verwaltung optimieren können. Ein Beispiel dafür ist das US-Unternehmen Cerner, das unter anderem auf digitale Patientenakten spezialisiert ist. Warum ist das so?

Nutzen digitaler Therapeutika muss noch bewiesen werden

Gerlach weist in diesem Zusammenhang auf ein Grundproblem hin, das oft verkannt werde: „Wir wissen in vielen Fällen noch nicht genau, an welcher Stelle die neuen Technologien welchen Nutzen haben können und was das konkret für die Qualität der Versorgung bedeutet. Nur wenn der Nutzen wirklich nachweisbar ist, dann hat so eine Technologie langfristig eine Chance.“

In der Tat befinden sich viele Digital-Health-Unternehmen noch in einer frühen Phase und werden erst in einigen Jahren die Früchte ernten. Dem stehen große Gesundheits-Unternehmen, aber auch Technologie-Riesen wie die Google-Mutter Alphabet oder der chinesische Konzern Alibaba gegenüber, die Milliarden in den digitalen Gesundheitsmarkt investieren. Amazon etwa entwickelt mit Partnern gerade eine eigene Krankenversicherung und eigene Kliniken, zunächst für ihre Mitarbeiter in den USA, und könnte mittelfristig auch in den Pharmavertrieb einsteigen. „Die Vernetzung des Gesundheitsmarkts nimmt weiter zu“, so Brüning.

Versicherer werden digitale Patientenmanager

Ein weiteres Beispiel: In den USA übernehmen die großen börsennotierten Krankenversicherer mehr und mehr die Rolle des zentralen Gesundheitsmanagers. Marktführer United Health bietet seinen Versicherten ein ganzes Netzwerk von Gesundheits-Dienstleistungen, von medizinischen Versorgungszentren über Labore bis zur Medikamentendistribution. Gerlach sieht solche geschlossenen Kreisläufe durchaus kritisch: „Das kann unter ökonomischen und Qualitätsaspekten interessant sein, aber auch einseitig genutzt werden, um Wertschöpfungsketten zu optimieren, die nicht im Interesse des Patienten sind, sondern primär dem Anbieter nützen.“

Wird „Dr. Alexa“ zum Gesundheits-Lotsen?

Wie könnte in Deutschland künftig eine Vernetzung von digitaler und bestehender medizinischer Beratung aussehen? Als mögliches Szenario sieht Gerlach, dass digitale Sprachassistenten wie Alexa von Amazon oder Siri von Apple eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem einnehmen. Patienten könnten dort zunächst ihre Symptome schildern („Ich habe Kopfschmerzen“). Auf Basis einer damit verbundenen Software würde der Patient durch den „Social Bot“ dann systematisch befragt: „Wo sind die Kopfschmerzen? Sind die beidseitig, einseitig, haben Sie Sehstörungen, Übelkeit, hohen Blutdruck, nehmen Sie Medikamente?“ Mit jeder Antwort optimiere der Sprachassistent bzw. ein dahinter liegendes Programm die wahrscheinliche Diagnose auf Basis von Algorithmen. Am Ende folge dann eine Prognose („Neun von zehn Patienten mit diesen Beschwerden haben diese oder jene Erkrankung“).

Von der offenen Frage zur geschlossenen Wertschöpfungskette

Der entscheidende Punkt kommt nach Ansicht von Gerlach aber danach: „Das Programm könnte anschließend empfehlen: Legen Sie sich ins Bett und schlafen Sie aus. Oder: Gehen Sie zum Arzt, wir können Ihnen gleich einen Telefon-, Video- oder auch Praxistermin bei einem unserer Ärzte vermitteln. Oder: Sie können in diesem Fall dieses frei verkäufliche Medikament nehmen. Das schicken wir Ihnen direkt zu, wenn Sie Ja sagen, dann ist es in wenigen Stunden bei Ihnen.“ Damit entstünde eine geschlossene Verwertungskette: Ausgehend von der harmlosen Frage zu Kopfschmerzen würde bei diesem Szenario eine Arzneimittelversorgung, ärztliche Versorgung als Fernbehandlung am Telefon oder über Video oder sogar ein Patientenkontakt in der Praxis angeboten werden.

„Das hat revolutionäres Potenzial“

Was visionär klingt, ist bereits heute konkret in Planung und teils sogar schon realisiert. „Das Gesundheitswesen als Ganzes und die Behandlung von Patienten würde sich dadurch so stark ändern, dass es mit dem, was wir kennen, nicht mehr viel zu tun hat. Solche Entwicklungen haben revolutionäres Potenzial“, sagt Gerlach. Und die Ideen stoßen durchaus auf Interesse bei den Leistungsempfängern. Laut einer Studie der Strategieberatung MS&C wären über 80 Prozent der 18- bis 35-Jährigen in Deutschland bereit, für digitale Beratung mit Sprachsteuerungsinstrumenten wie etwa Amazons Alexa zu bezahlen. Einige deutsche Krankenversicherungen bieten bereits Services dafür an.

Datenanalysten und Assistenz-Systeme können Ärzte entlasten

Und wie sieht es mit den Leistungserbringern aus? „Die Ärzte werden mit zunehmender Digitalisierung mit einer Datenflut konfrontiert, die sie ad hoc gar nicht verarbeiten können“, sagt Fondsmanager Brüning. Ein Beispiel seien neue Mobile-Health-Anwendungen, mit denen sich Patienten live im Alltag überwachen können und bei Bedarf sofort ein Arzt informiert wird. „Vielleicht brauchen Ärzte künftig Unterstützung durch Datenanalysten oder digitale Assistenzsysteme, die sie dabei entlasten.“ Das börsennotierte US-Unternehmen Tabula Rasa Healthcare etwa biete eine Software, mit deren Hilfe sich negative Wechselwirkungen mit anderen Medikationen, die der Patient schon zu sich nimmt, schneller und einfacher feststellen lassen. „Das ist für mich eine wertvolle Entwicklung.“

Auch Gerlach warnt vor einer zusätzlichen Belastung der Ärzte. Entscheidend werde sein, die Prozesse – also zum Beispiel die Überwachung von Patienten über Routinedaten – in den Arbeitsablauf von Ärzten und anderen Berufsgruppen zu integrieren: „Es wird nicht so funktionieren, dass man einfach jede Menge Daten neu erzeugt und dem Arzt auf den PC spült.“ Es brauche gute, durchdachte und praxisnahe Anwendungen, die einen echten Mehrwert schaffen.

Sind Medizin-Roboter wirklich besser?

Das gilt auch für eine weitere Schlüsseltechnologie im Gesundheitswesen, die Robotik. „Da muss man jeweils je nach Fragestellung, je nach Eingriff, je nach Prozedur den Nutzennachweis fordern“, so Gerlach. „Wir haben hier am Anfang zum Teil Schiffbruch erlitten. Die ersten OP-Roboter hatten schlechtere Ergebnisse als die normale OP durch den Chirurgen. Dann hat man die Roboter zunächst wieder abgeschafft. Jetzt kommen sie zurück in Form neuer verbesserter Modelle.“

Ein Vorreiter für computerassistierte endoskopische Eingriffe ist seit über zehn Jahren das US-Unternehmen Intuitive Surgical. Trotz positiver Anwenderberichte sieht Brüning ökonomisch noch zu wenig Erfolg. Denn der teure Erwerb und Unterhalt sei für die Erstattung der Kassen nicht relevant. „Wir schauen daher bei der Aktienauswahl für unsere Fonds jedes Unternehmen sehr genau und kritisch an. Nur wenn die Innovationskraft und die ökonomischen Basis herausragend sind, ist ein Digital-Health-Unternehmen auch eine gesunde Geldanlage.“

Die apoBank und ihre Fondstochter apoAsset begleiten und fördern die digitale Entwicklung der Gesundheitsbranche intensiv: Im Rahmen des Startupbootcamps Digital Health Berlin engagiert sich die apoBank als Mentor für junge Unternehmen, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. Für private und institutionelle Anleger hat apoAsset mit dem „apo Digital Health“ den ersten Aktienfonds aufgelegt, mit dem Anleger weltweit in Digital-Health-Unternehmen investieren können.

Quelle: ApoBank