Verordnung von Medikamenten: Bei Krankenhausaufenthalt droht Regress
Ina ReinschStellen Ärztinnen und Ärzte für Patienten, die im Krankenhaus liegen, Rezepte aus, müssen sie mit einem Regress rechnen – mitunter auch dann, wenn sie ahnungslos waren. Bei teuren Medikamenten kann das richtig wehtun. Wie sich in diesen Fällen die Höhe des Regresses berechnet und wie Sie sich schützen können.
Die Sprechstundenhilfe in Frau Dr. Thiemes Praxis erhält einen Anruf von Frau Schulte. Sie ist die Ehefrau von Max Schulte, einem langjährigen Patienten. Die Ehefrau fragt nach, ob sie für ihren Mann das Rezept für seine vierteljährliche Asthma-Medikation abholen könne. Die Praxis stellt das Rezept aus. Die Gesundheitskarte muss Frau Schulte dabei nicht vorlegen, da ihr Mann in diesem Quartal schon bei Frau Dr. Thieme war. Dass die Ehefrau das Rezept abholt, ist auch nicht ungewöhnlich, da Herr Schulte nicht mehr gut zu Fuß ist. Was Frau Schulte nicht sagt und auch niemand weiß: Herr Schulte liegt nach einem Verkehrsunfall seit drei Tagen im Krankenhaus. Der Ärztin droht nun ein Regress, weil sie das Medikament während eines Krankenhausaufenthaltes verordnet hat.
Solche oder ähnliche Fälle ereignen sich immer wieder in deutschen Arztpraxen und sorgen für Hilflosigkeit. Ärztinnen und Ärzte fragen sich: Woher hätte ich wissen sollen, dass der Patient im Krankenhaus liegt? Muss ich bei jeder telefonischen Anfrage nach einem Rezept explizit nachhaken, ob der Patient gerade stationär versorgt wird? Mit welchen Argumenten kann ich mich gegen einen Regress zur Wehr setzen? Und werden die kompletten Nettoverordnungskosten als Schaden angesetzt oder nur die anteiligen Kosten für die sich mit dem Krankenhausaufenthalt überschneidenden Tage?
Vertragsärztliche Parallelbehandlungen sind verboten
Während eines stationären Aufenthalts ist es Sache des Krankenhauses, den Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen. Nach dem fünften Buch des Sozialgesetzbuchs und dem Krankenhausentgeltgesetz umfasst eine Behandlung im Krankenhaus alle Leistungen, die im Einzelfall notwendig sind, und damit auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Muss ein Patient im Krankenhaus bestimmte Medikamente einnehmen, die nicht im Zusammenhang mit seinem Krankenhausaufenthalt stehen, muss die Klinik auch diese bereitstellen. Das betrifft beispielsweise auch teure Krebsmedikamente bei einem Verkehrsunfall-Patienten. Die Medikamente sind mit der Vergütung abgegolten, die das Krankenhaus für den Krankenhausaufenthalt erhält.
Daher führt eine Verordnung, die während eines stationären Aufenthalts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt ausgestellt wird, sobald sie in der Apotheke eingelöst wird, zu zusätzlichen Kosten der Krankenkasse. Diese wären nicht angefallen, wenn der Arzt die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Verordnung beachtet hätte. Und genau das stelle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen „sonstigen Schaden“ im Sinne des Bundesmantelvertrags-Ärzte dar (§ 48 Abs. 1), den die Krankenkasse regressieren darf.
Der Arzt muss schuldhaft gehandelt haben
Viele Ärztinnen und Ärzte werden an dieser Stelle einwenden, gar nicht von dem Krankenhausaufenthalt ihres Patienten gewusst zu haben – anderenfalls hätten sie das Rezept nicht ausgestellt. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erforderlich, dass die Ärztin oder der Arzt vertragsärztliche Pflichten und den hieraus resultierenden Schaden schuldhaft verletzt hat. „Dies ist eine Besonderheit gegenüber den Wirtschaftlichkeitsprüfungen, in denen es auf eine schuldhafte Verletzung nicht ankommt“, erklärt Thomas Petersdorff von der KV Nordrhein. Es muss bei einem „sonstigen Schaden“ also geprüft werden, ob der Arzt mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass der Versicherte im Krankenhaus vollstationär versorgt wird. Petersdorff: „Ist dies etwa aus der Behandlung bekannt oder berichtet davon ein Familienmitglied bei Bestellung des Rezeptes, so löst dies den Ersatzanspruch der Krankenkasse gegenüber dem Arzt aus. Die insoweit von ihm veranlassten Kosten sind dann von diesem zu ersetzen.“
Fall verursacht Regress von über 4.200 Euro
Hier wird es nun knifflig. Denn ob der Arzt oder die Ärztin hätte wissen können, dass der Patient im Krankenhaus liegt, ist im Einzelfall oft gar nicht so leicht zu beurteilen. Was gilt beispielsweise, wenn der Patient persönlich anruft und um einRezept bittet? Muss der Arzt stutzig werden, wenn nicht der Patient selbst das Rezept abholt, sondern sein Sohn oder der Partner? Muss er gar bei jeder Rezeptbestellung explizit nachfragen: „Sie liegen doch aber nicht im Krankenhaus?“
Diese Fragen wurden in einem Fall relevant, den das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Anfang 2022 entschieden hat (02.02.2022, Az. L 3 KA 57/19). Hier hatte ein 70-jähriger Patient aus dem Krankenhaus heraus telefonisch bei seinem Urologen eine Verordnung für sein Krebsmedikament für seine (Dauer-)Krebstherapie erbeten und gleichzeitig nach einem Termin gefragt. Seinen stationären Aufenthalt in einer Rheumaklinik ließ er aber unerwähnt.
Der Praxis war bekannt, dass er sich noch vor elf Tagen im Krankenhaus befunden hatte. Das Rezept wurde von der Tochter abgeholt und drei Tage später in der Apotheke eingelöst. Kosten: 4.221,47 €. Die Krankenkasse stellte bei der Prüfungsstelle Niedersachsen den Antrag, einen Regress wegen eines sonstigen Schadens gegen die behandelnde Ärztin festzusetzen. Das tat der Prüfungsausschuss auch. Und damit ging die Streiterei los. Die Ärztin legte Widerspruch ein, der Beschwerdeausschuss lenkte ein mit dem Argument, sie habe nicht gewusst, dass sich der Versicherte in stationärer Behandlung befunden habe. Das wiederum gefiel der Krankenkasse nicht, die vor das Sozialgericht Hannover zog und dort einen Regress erstritt. Die Ärztin klagte weiter, verlor nun jedoch.
Denn die Urologin beziehungsweise die MFA hätte bei einem Blick in die Patientenakte wissen können und müssen, dass der Patient vor elf Tagen stationär behandelt wurde, so das Gericht. Daher hätte die Praxis bei seinem Anruf konkret nachfragen müssen, ob er schon wieder entlassen wurde. Einem solchen Regress kann ein Arzt möglicherweise nur dann entgehen, wenn er glaubhaft machen kann, dass die Verordnung auf die Zeit nach dessen Entlassung aus der stationären Krankenhausbehandlung gerichtet gewesen ist.
Vertragsarztrecht lässt keine konkrete Schadensberechnung zu
Nun können Ärzte einwenden, dass es ungerecht sei, die gesamte Medikation für drei Monate zu regressieren, wenn sich der Patient nur einige Tage im Krankenhaus befand und sich die Medikation daher nur für einen kurzen Zeitraum überschnitt. Sie könnten auch einwenden, dass ein Patient, der vom Krankenhaus mit seinen gewohnten Medikamenten versorgt wird, die Einnahme der vom Arzt rezeptierten Medikamente ja später beginnt – nämlich nach dem Krankenhausaufenthalt – und diese dann auch länger reichen. Diese Argumente zählen hier jedoch nicht. Grund dafür ist der Zweck der Regelungen.
Ärzte sollen sich im Vertragsarztrecht an die Regeln und damit auch an das Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung halten. Würde man den tatsächlich entstandenen Schaden berechnen, würde man damit gleichzeitig das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem relativieren, und den Ärzten signalisieren, dass es auf die Beachtung der Bestimmungen nicht so sehr ankäme – so jedenfalls die Sichtweise des Gesetzgebers. Das System könne nur dann funktionieren, wenn die dafür geltenden Normen von allen eingehalten würden, heißt es dann auch in dem aktuellen Urteil.
Diese Leitlinien sollten Ärztinnen und Ärzte kennen
Befindet sich ein Patient im Krankenhaus, dürfen Ärztinnen und Ärzte für diesen kein Rezept ausstellen. Sonst droht ihnen ein Regress. Doch manchmal wissen Ärzte schlicht nichts von dem stationären Aufenthalt. Ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (02.02.2022, Az. L 3 KA 57/19) liefert Anhaltspunkte dafür, was Ärzte wissen können und wissen müssen:
Das Gericht stellte klar: Ein Schaden und damit ein Regress setzen in den Fällen der Rezeptausstellung zwingend ein Verschulden des Arztes voraus.
Es besteht keine generelle Verpflichtung von Vertragsärzten, sich vor Ausstellung eines Rezepts zu vergewissern, dass der Patient sich nicht gerade in einer stationären Krankenhausbehandlung befindet.
Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Patient im Krankenhaus aufhält, muss der Vertragsarzt das abklären.
Sucht der Versicherte die Praxis persönlich auf, kann der Vertragsarzt schon nach der Lebenswirklichkeit davon ausgehen, dass er sich nicht zeitgleich in stationärer Behandlung befinden kann. Bei einem lediglich telefonischen Kontakt gilt das aber nicht ohne Weiteres.
Wenn ein Versicherter lediglich telefonisch um Ausstellung einer Folgeverordnung für eine Dauermedikation bittet, bedarf es noch weiterer Anhaltspunkte, um eine Nachforschungspflicht des Vertragsarztes zu begründen. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn der Versicherte bereits die Absicht geäußert hat, sich stationär behandeln lassen zu wollen.
Der Anruf eines Versicherten aus dem Krankenhaus heraus stellt keinen derart ungewöhnlichen Umstand dar, dass der Arzt damit nicht rechnen muss.
Eine Gemeinschaftspraxis muss sich das Verhalten ihrer Gesellschafter und das ihrer angestellten ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter zurechnen lassen. Das bedeutet: Weiß etwa eine MFA von dem Krankenhausaufenthalt des Patienten, wird dieses Wissen dem Vertragsarzt zugerechnet.
Das Krankenhaus muss bei einem stationären Aufenthalt eines Patienten auch solche Medikamente bereitstellen, die mit der Aufnahme im Krankenhaus nicht im Zusammenhang stehen, aber notwendig sind. Das betrifft auch solche Medikamente, die gar nicht in den Kompetenzbereich des Krankenhauses fallen, weil es etwa nicht über die entsprechende Fachrichtung verfügt. Fehlt der Klinik die Expertise für eine Weiterbehandlung, muss sie sich diese konsiliarisch einholen. An der Verpflichtung des Krankenhauses zur Bereitstellung der notwendigen Arzneimittel aus eigenen Mitteln ändert sich dadurch nichts.