Bundesgerichtshof verbietet weiterhin Werbung für ärztliche Fernbehandlungen
Marzena SickingEine umfassende Diagnose und Behandlung setzt auch in Zukunft den direkten Kontakt zwischen Arzt und Patienten voraus. Das hat der Bundesgerichtshof bestätigt. Werbung für ärztliche Fernbehandlungen bleibt damit weiterhin verboten bzw. ist nur eingeschränkt möglich.
Der für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in dem Verfahren außerdem entschieden, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf.
Der Fall vor Gericht
Geklagt hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gegen eine Versicherung. Diese warb auf ihrer Internetseite mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Beworben wurde zudem ein „digitaler Arztbesuch“ mittels App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Wettbewerbshüter sahen darin einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG. Sie klagten auf Unterlassung.
Erfolg schon in der ersten Instanz
Bereits das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Während das Berufungsverfahren noch lief, wurde § 9 HWG überarbeitet und ist mit Wirkung zum 19. Dezember 2019 durch einen Satz 2 ergänzt worden. Danach gilt das Werbeverbot für Fernbehandlungen nicht, wenn ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem Patienten nach allgemein anerkannten Standards für die Behandlung nicht erforderlich ist. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten dennoch zurückgewiesen. Der Antrag auf Abweisung der Klage wurde daraufhin mit der Revision am Bundesgerichtshof weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG in seiner alten und in seiner neuen Fassung verstößt und die werbende Firma zur Unterlassung verpflichtet.
Die Firma habe gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung verstoßen, weil sie für die (Fern)Behandlung von Krankheiten geworben hat, die eine gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient bei der Untersuchung erfordern. Das sei im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.
Nach § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung ist das in Satz 1 geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen. Zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gilt aber ebenfalls nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
Anerkannte fachliche Standards nicht erfüllt
Diese Voraussetzung sahen die Richter hier nicht erfüllt. Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards seien – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es komme daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards beziehe sich vielmehr auf die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
Das Problem: Die beklagte Firma hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben. Das Berufungsgericht konnte aber nicht feststellen, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht. Da die beklagte Firma diesen Anspruch auch gar nicht erhob, wurde bestätigt, dass die Werbung unzulässig war.
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Dezember 2021, Az.: I ZR 146/20