Private Krankenversicherung muss nach Chemo auch neue Therapien bezahlen
Judith MeisterEin Patient mit Pankreas-Krebs kann Anspruch auf eine Neulandtherapie haben, wenn diese möglicherweise mehr leistet als eine palliative Standardbehandlung. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden.
Die Diagnose ist niederschmetternd. Als ein Mann erfährt, dass er einen inoperablen Tumor in der Bauchspeicheldrüse hat, versuchen die Ärzte zunächst eine Chemotherapie. Diese bleibt jedoch ohne Erfolg. Daraufhin begann der Patient eine kombinierte Immuntherapie mit dendritischen Zellen.
Seine private Krankenversicherung sieht sich allerdings nicht in der Pflicht, auch diese Behandlung zu bezahlen. Sie verweist auf ihre Versicherungsbedingungen. Danach leistet die Assekuranz „im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Ferner leistet sie für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen …“
Auf Basis dieser Regelung lehnte die Gesellschaft die Bezahlung der Therapie ab, übernahm jedoch auf freiwilliger Basis die Hälfte der Kosten.
Reicht es, wenn die Therapie eine Verschlimmerung verhindert?
Dagegen klagte die Ehefrau des (inzwischen verstorbenen) Patienten – mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte die Versicherung dazu, auch den noch offenen Betrag zu zahlen (Az. 7 U 140/21). Das Argument der Richter: Die dendritische Zelltherapie stelle eine Heilbehandlung im Sinne der Krankheitskostenbedingungen (MB/KK 2009) der privaten Krankenversicherungen dar.
Die Behandlung mit dendritischen Zellen habe die Symptome der Krebserkrankung lindern und den Gesundheitszustand stabilisieren sowie einer Verschlimmerung entgegenwirken sollen. Auch der gerichtliche Sachverständige habe bestätigt, dass die spezifische Wirkweise der dendritischen Zellen auf die Zerstörung von Tumorzellen ausgerichtet sei.
Die Therapie sei zudem medizinisch notwendig gewesen. „Bei einer lebenszerstörenden, unheilbaren Krankheit kann nicht mehr darauf abgestellt werden, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungszieles tatsächlich eignet.“ Die objektive Vertretbarkeit der Behandlung sei vielmehr schon dann zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme wahrscheinlich auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinwirke.
Eine hinreichende wissenschaftliche Evidenz für die Effektivität sei indes nicht erforderlich.
Niemand muss den fragwürdigen Erfolg der Zweitlinientherapie abwarten
Da die Ärzte im konkreten Fall erfolglos eine schulmedizinische Erstlinientherapie versucht hätten, habe man unmittelbar auf den „neuartigen wissenschaftlich fundierten Ansatz der Alternativtherapie zugreifen dürfen. Unnötig sei es, den prognostisch zweifelhaften Erfolg einer Zweitlinientherapie abzuwarten. Die in den Versicherungsbedingungen aufgegriffene Formulierung, ob ein bestimmtes schulmedizinisches Arzneimittel „zur Verfügung“ stehe, dürfe der Kunde vielmehr so verstehen, dass er sich nicht auf fast aussichtslose schulmedizinische Methoden verweisen lassen müsse.