Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Sozialrecht

Wer Arzt wird, entscheidet sich damit nicht nur für einen besonderen Beruf, sondern auch für besondere Arbeitszeiten. Wochenend- und Nachtschichten und, immer wieder, auch Rufbereitschaft bzw. Bereitschaftsdienste gehören dazu.

Die rechtliche Einordnung der letzten beiden Varianten hat in den vergangenen Jahren allerdings wiederholt zu rechtlichen Auseinandersetzungen geführt. Vor allem die Frage, ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit anzusehen und entsprechend zu vergüten ist, beschäftigt die Gerichte immer wieder. Die jüngsten Entscheidungen zu diesem Thema hat der Europäische Gerichtshof im März 2021 im Fall eines deutschen Feuerwehrmannes (Urt. v. 9.3.2021, Rs. C-580/19) getroffen. Damit wurde im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung fortgeschrieben.

Beeinträchtigung der Freizeit?

Der EuGH befand: Rufbereitschaft lässt sich grundsätzlich nur dann als Arbeitszeit qualifizieren, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit ganz erheblich in der Ausübung seiner Freizeit beeinträchtigt wird. Mit einer solchen Konstellation musste sich der EuGH bereits im Jahr 2018 im Fall eines belgischen Feuerwehrmanns befassen. Der durfte zwar während seiner Rufbereitschaft daheimbleiben. Er hatte bei Abruf aber nur acht Minuten Zeit, um in der Wache zu erscheinen. Der EuGH entschied damals, dass eine solche Rufbereitschaft als Arbeitszeit zu werten ist.

Auch im aktuellen Fall aus Deutschland, in der ein Feuerwehrmann bei Abruf 20 Minuten Zeit hatte, um in Einsatzkleidung und in seinem Dienstfahrzeug die Stadt Offenbach zu erreichen, stellte der EuGH fest, dass die Rufbereitschaft als Arbeitszeit zu qualifizieren sein kann. Entsprechendes dürfte gelten, wenn medizinisches Personal zwar nicht – wie beim klassischen Bereitschaftsdienst – in der Praxis oder Klinik ausharren muss, wohl aber im Fall der Fälle binnen kürzester Zeit vor Ort zu erscheinen hat, um Notfälle zu versorgen.

Der feine Unterschied zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

Damit allein ist jedoch nur wenig gewonnen. Denn die Tatsache, dass Dienstzeiten als Arbeitszeit zu qualifizieren sind, bedeutet noch lange nicht, dass es dafür auch dasselbe Geld gibt wie für klassische Tag- oder Nachtschichten. Vielmehr unterscheiden Tarifverträge zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Letztere wird deutlich schlechter vergütet.

Dabei begeben sich die Kliniken aber oft auf dünnes Eis. Das beweist ein aktueller Fall, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor Kurzem entschieden hat: Konkret ging es um einen Oberarzt, der seinen Arbeitgeber darauf verklagt hatte, ihm für die Zeit zwischen August 2017 und Juni 2018 knapp 40.000 Euro mehr zu zahlen, da er statt Rufbereitschaft Bereitschaftsdienst geleistet habe. Anders als die Vorinstanz verneinte das BAG zwar einen Zahlungsanspruch des Arztes, wohl aber räumten die Erfurter Richter ein, dass die Klinik den Arzt während seines Hintergrunddienstes zu häufig herangezogen hatte, weil er etwa in vier Prozent der Rufbereitschaftsstunden tatsächlich arbeiten musste (Az. 6 AZR 264/20). Mehr Geld durfte der Arzt dennoch nicht verlangen.

Das BAG geht davon aus, dass hier eine gewollte Lücke in der Vergütungspflicht besteht: Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil sei nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Damit hätten die Tarifvertragsparteien für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft bewusst keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen habe das BAG respektiert.