Praxisgemeinschaft: Gegenseitige Vertretung nur in Ausnahmefällen erlaubt
Marzena SickingIn einer Praxisgemeinschaft sollten Ärzte auf die strikte Trennung ihrer Patienten achten und sich nur in Ausnahmefällen gegenseitig vertreten. Wird diese Regel missachtet, drohen hohe Honorarrückforderungen durch die KV.
Wie das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 09.06.2021 (Az.: L 7 KA 13/19) entschieden hat, darf die KV das Honorar eines einzelnen Arztes schon bei einer Patientenidentität von unter 20 Prozent kürzen. Voraussetzung ist, dass zuvor bei Stichprobenprüfungen in der Praxisgemeinschaft schon einmal eine Patientenidentität von mehr als 20 Prozent festgestellt wurde.
Fachärztin klagt gegen Honorarkürzungen
In dem verhandelten Fall ging es um eine Fachärztin für Anästhesiologie, die eine Praxisgemeinschaft mit einem Kollegen betrieb. Diese bestand vor allem in der gemeinsamen Nutzung von Operationsräumen in einem ambulanten Operationszentrum. Die zuständige KV führte eine Auffälligkeitsprüfung für vier Quartale durch. Sie ermittelte anhand von Stichproben eine Patientenidentität von über 20 Prozent in diesem Zeitraum. Darauf reagierte die KV mit Honorarkürzungen für die betroffenen Quartale um knapp 7.000 Euro.
Die Prüfung weiterer Quartale führte zu zusätzlichen Honorarkürzungen von 16.000 Euro, die mehr als 160 Behandlungsfälle betrafen. Die KV begründete die Kürzungen damit, dass diese Patienten immer wechselseitig durch beide Ärzte behandelt wurden. In allen Fällen führte einer die präanästhesiologische Untersuchung (GOP 05310) und der andere die eigentliche Narkose (GOP 31822) durch.
Wert lag unter 20 Prozent Patientenidentität
Die Fachärztin klagte gegen die Honorarkürzung. Sie wandte u.a. ein, dass in den zusätzlichen Quartalen der Wert von mindestens 20 Prozent Patientenidentität nicht erreicht worden sei. Die nachgewiesenen Patientenidentitäten seien durch kurzfristige Vertretungen oder Notfälle gerechtfertigt, die nicht anzeige- oder dokumentationspflichtig seien. Auch seien die Honorarkürzungen zu hoch. Es hätten höchstens die doppelt abgerechneten Ordinations- bzw. Konsultationsgebühren berücksichtigt werden dürfen.
Gericht bestätigt Honorarkürzungen
Das Landessozialgericht wies die Einwände der Ärztin als unbegründet zurück und bestätigte die Honorarkürzungen. Die Richter zeigten sich, wie die KV, von einem Missbrauch der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ durch die beiden Ärzte überzeugt. Die erste Honorarkürzung auf Basis der Überschreitung der 20-Prozent-Schwelle sei somit gerechtfertigt. Auch die zweite Honorarkürzung sei nach der Einzelfallprüfung korrekt.
Die beiden Ärzte dürften nicht erwarten, dass sie gemeinsam Patienten behandeln dürfen, nur weil die 20-%-Schwelle nicht erreicht ist. Vielmehr dürfe die KV, wenn sie einmal mittels Stichprobenprüfungen eine Patientenidentität von mehr als 20 Prozent festgestellt hat, nach Einzelfallprüfung auch bei einer niedrigeren Patientenidentität das Honorar des einzelnen Arztes kürzen.
Notfälle und kurzfristig notwendige Vertretungen sahen die Richter bei den betroffenen Fällen außerdem nicht. Vielmehr sei erwiesen, dass die Ärzte die Patienten gemeinsam behandelt hätten. In 117 Fällen habe ein Arzt die Voruntersuchung durchgeführt und der andere die Narkose. Und in 96 Fällen konnte anhand der Tagesprofile nachgewiesen werden, dass beide Anästhesisten im Haus waren. Somit hätte derjenige, der die Behandlung begonnen hatte, sie auch fortsetzen können. In 48 Fällen wurde belegt, dass beide Anästhesisten für denselben Patienten und für einen operativen Eingriff EBM-widrig jeweils die präanästhesiologische Untersuchung abgerechnet haben.
Auch die Besonderheit der Praxisausrichtung als ambulant tätige Anästhesistin rechtfertige das Vorgehen bei der Abrechnung nach Meinung der Richter nicht. Um ihre Arbeitsweise korrekt abzurechnen, hätten die beiden Mediziner besser die Kooperationsform der Gemeinschaftspraxis gewählt.