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Recht

Die Medical Device Regulation (MDR) – Was ist das?

Die Medical Device Regulation (MDR) – EU-Medizinprodukte-Verordnung – regelt, ob und wann ein Hersteller ein Medizinprodukt in der Europäischen Union verkaufen darf. Die MDR löst die bestehende Medizinprodukterichtlinie (MDD) ab und gilt so unmittelbar, ohne nationalen Umsetzungsakt. So müssen bis zum 26.05.2024 alle ca. 500.000 Medizinprodukte in der EU für den Erhalt des CE-Zeichens neu zertifiziert werden.

Welche Vorteile soll die MDR haben?

Hintergrund für die Einführung der MDR im Jahre 2017 waren Skandale über die Mangelhaftigkeit von Brustimplantaten in Deutschland und Frankreich. Die MDR soll die Qualität, Patientensicherheit, Transparenz, Rückverfolgbarkeit über die Lebensdauer erhöhen und zugleich die bestehenden Regelungen gesamteuropäisch harmonisieren.

Im Einzelnen wurden beispielsweise Regeln für wiederverwendbare chirurgisch-invasive Instrumente erweitert und die Anforderungen für Implantate erhöht.

Ebenfalls steigt die Dokumentationspflicht für Hersteller deutlich. Zudem soll eine elektronische Datenbank zur Überwachung des Produktlebenszyklus (EUDAMED) eingeführt werden. Auch sollen die Zertifizierungsstellen selbst, sogenannte „Benannte Stellen“, höheren Anforderungen unterliegen. Benannte Stellen sind private Unternehmen im Auftrag der EU, welche die Konformität der Hersteller mit der MDR prüfen und durch beispielsweise unangekündigte Audits überwachen sollen. Auch benötigen nun alle Medizinprodukte umfangreiche klinische Studien vor der Markteinführung.

Welche Nachteile hat die MDR?

Ein wesentliches Hauptproblem ist, dass es zu wenig „Benannte Stellen“ gibt, welche die Produkte zertifizieren dürfen. Aufgrund der neuen Verordnung müssen sich auch die Benannten Stellen selbst neu zertifizieren lassen, bevor sie die Hersteller testen können, was ebenfalls Zeit kostet. Vor der MDR-Einführung gab es noch 58 Stellen, aktuell nur noch etwa 28 Stellen.

Auch wenn inzwischen ca. 70 % der ursprünglichen Zertifizierungskapazitäten verfügbar sind, ist doch der Aufwand nach der MDR doppelt so hoch wie früher. Eine MDR-Zertifizierung dauert im Schnitt zwischen 13 und 18 Monaten. Da momentan erst ca. 15 % aller Medizinprodukte neu zertifiziert werden konnten, dürfte sich nach Einschätzung des TÜV Süd die Übergangsfrist bis Mai 2024 nicht halten lassen.

Hohe bürokratische Hürden

Ein weiteres großes Problem stellen die hohen bürokratischen Hürden dar. Eine Zertifizierung ist mit hohen Kosten verbunden. Auch wegen des hohen Dokumentationsaufwandes müssen deutlich mehr Mitarbeiter eingestellt werden. So rechnet das Pharma- und Medizintechnikunternehmen B. Braun allein nur für die Neuzertifizierung ihrer Produkte mit einem mehrstelligen Millionenbetrag. Für klein- und mittelständische Unternehmen dürften solch hohe Summen kaum zu bewerkstelligen sein. Immerhin haben sich die Kosten und Dauer für die MDR-Zertifizierung im Vergleich zum früheren Verfahren im Schnitt verdoppelt.

Darüber hinaus scheint auch der Verordnungstext selbst für Ärger zu sorgen. So geben Unternehmen an, dass die Verordnung teilweise unverständlich sei und auch Übersetzungsfehler bei unterschiedlichen Sprachversionen beinhalte. Daher gebe es bis zu 100 Leitfäden, welche wiederum die MDR erklären sollen. All das würde das Verfahren für kleinere Unternehmen verkomplizieren.

Zudem sei auch die neue elektronische Datenbank EUDAMED nicht voll einsatzbereit. So würden von sechs Modulen gerade mal drei teilweise funktionieren. Davon abgesehen, sei die Technik wenig zeitgemäß und nur bedingt anwenderfreundlich.

Eine Doppelbelastung könnte sich für Hersteller Künstlicher-Intelligenz-basierter Medizinprodukte ergeben, da noch unklar ist, welche neuen spezielleren Verordnungen hinzukommen.

Ein Dilemma ergibt sich auch für neue Markteinführungen. Da sich auch alle Bestandsprodukte zertifizieren lassen müssen, werden diese aufgrund der Übergangsfristen zuerst behandelt. Dadurch kann sich eine Neueinführung ebenfalls massiv verzögern.

Welche Auswirkungen können sich daraus ergeben?

Aufgrund der dargestellten Nachteile wird befürchtet, dass Hersteller massenhaft Medizinprodukte vom Markt nehmen könnten. Schon jetzt sind nach einer Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft hunderte Medizinprodukte nicht mehr verfügbar. Eine düstere Prognose ergab auch eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages: 50 % der befragten Unternehmen wollen bei 16 von 21 Produktgruppen einzelne Produkte oder ganze Sortimente streichen. Dies beträfe beispielsweise orthopädische und chirurgische Instrumente. So gaben 46 % der Unternehmen an, neue Projekte erst mal einzustellen.

19 % wollen bei Erstzulassungen gar auf andere Märkte wie die USA ausweichen. So wäre, abgesehen von fehlenden Produkten, auch die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Medizinproduktehersteller bedroht.

Ist die Patientenversorgung tatsächlich bedroht?

Die genannten Nachteile könnten insbesondere schwer oder kaum ersetzbare Nischen- und Spezialprodukte wie beispielsweise Ballonkatheter oder Stents für Säuglinge schwer treffen. So warnt der Bundesverband für Medizintechnologie, dass künftig bis zu 30 % aller Medizinprodukte nicht mehr verfügbar sein könnten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie befürchtet, dass durch fehlende Prothesen Operationen verschoben oder gar abgesagt werden müssen. So hegt auch die Baden-Württembergische Landesregierung Bedenken, dass künftig durch nicht ausreichend verfügbare Medizinprodukte eine optimale Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet werden könne und im schlimmsten Fall auch Todesfälle die Folge seien.

Wie könnte man diese Probleme lösen?

Tatsächlich gibt es einige Ansätze. Allein die Deutsche Gesellschaft für biomedizinische Technik stellte beispielsweise 32 Handlungsempfehlungen vor. So wird neben dem Ausbau von Zertifizierungskapazitäten bei den Benannten Stellen auch die Schaffung einer EU-weiten Servicestelle zur Vermittlung freier Kapazitäten der Benannten Stellen gefordert.
Zudem solle es auch mehr finanzielle Anreize für Benannte Stellen geben und alle Hersteller den gleichen Zugang bekommen.

Vorhandene Ressourcen sollten effizienter genutzt werden, indem man beispielsweise den Fokus auf Qualitätsmanagementsystem-Audits legen könnte. Zudem solle sich die Zertifizierung mehr an der Produktklasse und ihrer Neuartigkeit orientieren.

Andere schlagen eine Reduzierung von Prüf-Audits vor oder wollen diese per Videokonferenz durchführen.

Ein wichtiger Ansatz könnte auch darin liegen, langjährig bestehende Produkte aus der Re-Zertifizierung herauszunehmen, da dies weder ethisch noch wissenschaftlich sinnvoll sei. So könnte nach einem Vorschlag von 30 EU-Parlamentariern die alte Zulassung unbefristet verlängert werden, wenn keine Änderungen oder Hinweise auf Gefahren aus der Vergangenheit vorliegen. Eine solche Überprüfung könnte unkompliziert mit Hilfe von vorhandenen Registerdaten erfolgen, was auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften befürwortet.

Bei Engpässen könnte auch eine Sonderregelung für schwer ersetzbare Nischenprodukte (s.o.) Abhilfe schaffen, welche durch das Bundesinstitut für Arznei- und Medizinprodukte und dem Bundesgesundheitsministerium selektiert würden.

Für neue innovative Medizinprodukte könnte man auch eine Erprobungsregelung mit schrittweiser Marktzulassung einführen, um so schnellere Markteinführungen zu gewährleisten.

Fazit und Ausblick

Die dargestellten Nachteile sind handfest und besorgniserregend, falls keine Lösung gefunden wird. Insofern sind die Sorgen aus der Ärzteschaft und den Branchenverbänden berechtigt. An Verbesserungsvorschlägen mangelt es nicht. Die Krux ist, wie der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek zutreffend feststellte, einen fairen Ausgleich zwischen Innovationskraft und Patientensicherheit zu finden. Bei allen Nachteilen sollte nicht der Einführungsgrund der MDR aus dem Jahre 2017 vergessen werden. Die vergangenen Skandale haben gezeigt, dass ein „Weiter so“ gefährlich sein kann und es im Sinne des Patientenwohls strengeren Vorgaben bedarf.

Die Frage bleibt: Erreichen wir durch die aktuell konzipierte MDR wirklich mehr Patientensicherheit, das Gegenteil oder sogar noch längere Gesichter?

Autor: Johannes T. Kayser