Mehr Eigenverantwortung für Kassenpatienten: Was erlaubt das Gesetz?
Judith MeisterVersicherte sollen für selbst verschuldete Krankheiten selbst aufkommen – und höhere Eigenanteile zahlen. Diese (alte) Forderung wird angesichts enormer Kassendefizite gerade neu aufgelegt. Doch wäre ein solches Vorgehen derzeit überhaupt möglich?
Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen ist nicht für seine Zurückhaltung bekannt. Entsprechend deutlich fiel denn auch seine Einschätzung zur aktuellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland aus. „Wir können uns das System nicht mehr leisten“, sagte er in einem Zeitungsinterview. „Patienten müssen künftig mehr aus eigener Tasche dazu bezahlen.“
Vorschläge, wie eine solche Eigenbeteiligung aussehen könnte, lieferte der streitbare Wissenschaftler gleich mit. Die Idee, eine Eigenbeteiligung von bis zu 2000 Euro einzuführen und auch Kassenpatienten Arztrechnungen zukommen zu lassen, ist zwar alles andere als neu. Gleiches gilt für den Vorstoß, Versicherte für selbst verschuldete Krankheiten künftig privat bezahlen zu lassen – etwa nach Unfällen bei Risikosportarten.
Dennoch erreichte Raffelhüschen mit seinem Vorstoß vermutlich das, was er wollte: den Beginn einer neuen Debatte über die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter.
Eigenverantwortung ist schon heute erlaubt und gewünscht
Aus juristischer Sicht wäre für ein Umsteuern in diese Richtung noch nicht einmal eine Gesetzesänderung erforderlich. Denn auch, wenn die gesetzliche Krankenversicherung auf dem Solidarprinzip fußt, wonach Junge für Alte, Kranke für Gesunde und Reichere für Ärmere einstehen: Das Gesetz bietet auch heute schon die Möglichkeit, ein „krankheitsursächliches Vorverhalten von Versicherten“ zu berücksichtigen und diese an den Kosten zu beteiligen.
So regelt etwa § 52 SGB V:
(1) Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen, kann die Krankenkasse sie an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern.
(2) Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.
Dies entspricht dem Grundgedanken des Gesetzes, wonach die Idee der Solidarität durch den Grundsatz der Eigenverantwortung flankiert wird.
In der Praxis kaum gebräuchlich
In der Praxis machen die Krankenkassen von den Möglichkeiten einer Kostenbeteiligung nach § 52 SGB V allerdings selten Gebrauch. Das liegt auch am vergleichsweisen engen Anwendungsbereich der Norm
- Zum einen erfordert die Vorschrift einen Vorsatz des Versicherten, den die Kasse beweisen muss. Schon das dürfte in der Praxis oft Probleme verursachen.
- Zudem muss zwischen dem Verhalten oder Unterlassen des Versicherten und dem Eintritt der Krankheit ein Kausalzusammenhang bestehen, wenn die Kasse ihn an den Versorgungskosten beteiligen will.
- Ob sie das tut, liegt überdies in ihrem Ermessen. Sie muss dabei nur „alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen des gesundheitsschädlichen Verhaltens auf die Solidargemeinschaft, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten, etwaige Handlungsmotive sowie den Grad des Verschuldens berücksichtigen.“
Damit bleibt festzuhalten. Die Forderungen zu mehr Eigenverantwortung im System der gesetzlichen Krankenversicherung wären schon heute umsetzbar, wenn auch mit einem gewissen Konfliktpotenzial behaftet.