Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Medizinrecht

Dürfen Ärzte und Patienten eine Beziehung eingehen?

Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient hat auch im modernen Medizinrecht einen hohen Stellenwert – nicht zuletzt, weil Ärzte viele intime Details ihrer Patienten kennen. Wenn aus einem professionellen Näheverhältnis auch eine private und/oder körperliche Anziehung erwächst, ist das jedoch oft problematisch – nicht zuletzt, weil § 174c StGB den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses unter Strafe stellt.

Machen sich Ärzte strafbar, wenn sie Sex mit Patienten haben?

Ein Arzt kann sich sogar dann strafbar machen, wenn der Patient oder die Patientin die sexuellen Kontakte initiiert. Denn die „Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses“ nehmen Gerichte vielfach schon dann an, wenn der Arzt für den Sexualkontakt eine Gelegenheit wahrnimmt, die sich aufgrund der Behandlungssituation ergibt.

Wie schwierig die Abgrenzung zwischen einvernehmlichen sexuellen Handlungen und sexuellem Missbrauch ist, belegt der folgende Fall, den vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Hamm zu entscheiden hatte.

Arzt wegen sexuellen Missbrauchs einer Patientin verurteilt

Konkret ging es um einen Orthopäden, den das Amtsgericht Essen wegen des sexuellen Missbrauchs einer Patientin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hatte. Die Frau war ursprünglich wegen eines Frozen-Shoulder-Syndroms in Behandlung gewesen. Nach übereinstimmenden Aussagen beider Beteiligten war man sich im Laufe der Behandlung nähergekommen. Schließlich sei eine sexuelle Anziehung entstanden, die zu sexuellen Handlungen führte.

Der Arzt war mit seiner Verurteilung nicht einverstanden und legte Rechtsmittel ein. Erfolgreich. Das Landgericht Essen sprach ihn vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei und argumentierte damit, dass die Annäherung von der Patientin ausgegangen sei, die selbstbestimmt eine weitergehende Vertiefung der Beziehung gesucht habe.

Mit dieser Entscheidung waren wiederum die Staatsanwaltschaft und die Patientin unzufrieden und legten Revision ein – ebenfalls mit Erfolg. Denn nach Meinung des OLG Hamm setzt die Strafbarkeit nach § 174c StGB nicht voraus, dass die Initiative zur sexuellen Annäherung vom Täter ausgeht oder ein Handeln gegen den Willen des Opfers vorliegt (OLG Hamm, Az. 5 RVs 60/22.)

Sex mit Patienten ist Missbrauch

Wörtlich führt das Gericht aus: „Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses ausdrücklich einverstanden ist, versteht es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis missbraucht.“

An einem Missbrauch fehle es ausnahmsweise, wenn der Täter nicht eine aufgrund des Behandlungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung ausnutzt, um sexuelle Handlungen auszuüben. Dies sei im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu klären. In jedem Fall müssten sich Arzt und Patient auf Augenhöhe begegnen.

Wann begegnen sich Arzt und Patient „auf Augenhöhe“?

Das letzte Wort in der Sache ist allerdings noch nicht gesprochen. Denn ob sich die Beteiligten im vorliegenden Fall „auf Augenhöhe“ begegneten, vermochte das OLG anhand der vorliegenden Fakten nicht ausreichend zu beurteilen. Bei einer erneuten Verhandlung vor dem Landgericht muss deshalb unter anderem geklärt werden, wie sich die beiderseitige sexuelle Anziehung – auch schon vor der ersten Tat – manifestiert hat, in welchem Umfang und in welchem Rahmen es zu Zusammenkünften zwischen dem Orthopäden und seiner Patientin kam und in welchem Umfang und mit welchem Inhalt die beiden jenseits des Behandlungsverhältnisses kommunizierten.