Medizinisches Cannabis auf Rezept: Juristische Fallstricke für Ärzte
A&W RedaktionDie Verordnung von medizinischem Cannabis ist für Ärzte noch immer eine unsichere Bank. Denn häufig verweigern die Krankenkassen die Kostenübernahme. Eine aktuelle gerichtliche Entscheidung zeigt, wie es funktionieren kann.
Eine Patientin hatte gemeinsam mit ihrer Ärztin einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Therapie mit medizinischem Cannabis gestellt. Die der 1974 geborene Frau bezieht eine Erwerbsminderungsrente. Die Liste ihrer Leiden ist lang: ein stark ausgeprägtes Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Migräne, eine rezidivierende depressive Störung, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung und Tinnitus.
Wer bekommt Cannabis auf Rezept?
Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Dronabinol, wenn:
- eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt,
- nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes bzw. der Vertragsärztin unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen kann,
- eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht,
- bei der ersten Verordnung vor Beginn der Therapie ein Antrag für den Wirkstoff Dronabinol gestellt wird.
Krankenkasse darf Antrag auf Cannabis ablehnen
Die Genehmigung darf nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abgelehnt werden. Dennoch versagte die Krankenkasse eine Versorgung mit Dronabinol. Sie argumentierte, es liege hier kein solcher begründeter Ausnahmefall vor. Die Patientin wandte sich daraufhin an das Sozialgericht Neuruppin. Doch das Gericht wies den Antrag als unbegründet zurück. Nun entschied aber das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu ihren Gunsten (LSG Berlin-Brandenburg, 20.08.2020, Az. L 9 KR 223/20 B ER).
Das Gericht dröselte die Voraussetzungen im Einzelnen auf. Es kam zu folgendem Ergebnis: Das Restless-Legs-Syndrom sei eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Auch das zweite zentrale Merkmal sah das Gericht als erfüllt an – die „begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes“.
Schlüssig, geordnet, mit Nachdruck, in der Sache überzeugend habe die Ärztin dargelegt, wie gravierend die Leiden der Patientin sind und welche Therapieansätze verfolgt wurden. Sämtliche Möglichkeiten seien ausgereizt. Die Patientin sei austherapiert. Als Ultima Ratio halte die Ärztin einen Therapieversuch mit Cannabis für indiziert. Sie erhoffe sich dadurch eine Verbesserung der Krankheitssymptome. Zum Beleg zitiere sie mehrere Studien. Das Gericht lobte ausdrücklich die Begründung der Ärztin, die nicht besser hätte sein können und die oben genannten Punkte exakt abarbeitet. Einen besonderen Ausnahmefall, der die Krankenkasse zur Ablehnung der Genehmigung bewegen könnte, konnte das Gericht bei dieser Ausgangslage nicht erkennen.
40 Prozent der Anträge auf Cannabis werden abgelehnt
Nach Angaben des GKVSpitzenverbandes wurden im Zeitraum seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 etwa 40 Prozent der Anträge auf Versorgung mit Cannabis nach § 31 Absatz 6 fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) abgelehnt.
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
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