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Medizinrecht

In dem vor dem Oberlandesgericht Köln verhandelten Fall (Az.: 5 U 110/20) ging es um einen Säugling, der aufgrund von schwerster hypertoner Dehydratation/Toxikose Hinrschäden erlitten hatte.

Arzt erkannte drohende Gefahr nicht

Das Kind wurde von seiner Mutter am 21.4.2003 mit Erbrechen und Durchfall in der Ambulanz der Universitätskinderklinik D vorgestellt. Der diensthabende Arzt diagnostizierte einen Magen-Darm-Infekt. Er verordnete die Gabe einer Elektrolytlösung, Perenterol und Tee. Bei Verschlechterung sollte die Mutter mit dem Kind wieder vorstellig werden.

Die Mutter suchte am nächsten Tag mit dem Säugling ihren Kinderarzt auf. Sie übergab den Arztbericht aus der Klinik und berichtete von anhaltendem Erbrechen. Durchfall hätte das Kind am Tag zuvor gehabt, die Temperatur sei normal. Nach körperlicher Untersuchung injizierte und verordnete der Kinderarzt dem Säugling Vomex und Paspertin. Zwei Tage später erschien die Mutter erneut in der Arztpraxis. Sie erhielt von der MFA nur ein Folgerezept, zum Arzt gelassen wurde sie nicht. In den Behandlungsunterlagen wurde über das Kind vermerkt: „Isst seit gestern nicht mehr, trinkt aber viel Tee, Diät halten, abwarten, ggf. heute Nachmittag zurückmelden.“

Fachsprache statt klarer Ansagen

Am gleichen Nachmittag ging die Mutter noch zu einer anderen Kinderärztin. Auch hier erfolgte keine Krankenhauseinweisung. In der Patientenakte wurde „Magen-Darm-Virus“ vermerkt und auch der Hinweis, dass das Kind nicht mehr trinke: „Versuch m. strenger Diät z.B. Tee, HN [Heilnahrung] mind 700 – 1000 ml bis abends, sonst Klinik, Aufklärung über die Notwendigkeit KH, Oma meint bei ihr würde Kind gut trinken, E mündlich abgelehnt.“ Es folgten noch Telefonate, deren Inhalt strittig ist. Die Ärztin vermerkte in ihren Unterlagen, die Mutter darauf hingewiesen zu haben, dass “eine Verschiebung der Salze drohe, die nicht mit dem Leben vereinbar sei”.

Behandlung in der Klinik erfolgte zu spät

Am  25.4.2003 suchte die Mutter mit dem Kind endlich die Universitätskinderklink D auf. Dort wurde das Kind sofort intensivmedizinisch behandelt. Die Ärzte stellten eine schwere hypertone Dehydratation/Toxikose und infolgedessen eine Hirnschädigung fest. Das Kind leidet bis heute unter erheblichen motorischen Störungen. Es kann nicht selbstständig laufen und weist eine allgemeine und sprachliche Entwicklungsverzögerung auf.

Laut Urteil des Oberlandesgerichts Köln hat bereits der erste Kinderarzt Fehler gemacht. Denn bei Durchfall und anhaltendem Erbrechen wäre eine Krankenhauseinweisung und eine Klärung des Zustands erforderlich gewesen. Laut Gerichtsverständigen hätte der Arzt wissen müssen, dass sich in diesem Fall eine hypertone Dehydratation entwickeln konnte. Wäre das Kind in der Klinik überwacht worden, hätte man das rechtzeitig erkennen und behandeln können. Auch hätte die Arzthelferin die Patientin nicht wegschicken dürfen. Ein Säugling mit wässrigem Durchfall und Erbrechen habe absolute Priorität.

Kinderärzte verstießen gegen ihre Pflichten

Aber auch der zweiten Kinderärztin wurden Fehler bescheinigt. Auch sie hätte das Kind umgehend in eine Klinik überweisen müssen. Werde dies abgelehnt, so sei es Aufgabe des Arztes, den Patienten (bzw. in diesem Fall die Eltern) deutlich über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Krankenhauseinweisung aufzuklären. Die Aufklärung müsse aber in einer für den Patienten verständlichen Art und Weise erfolgen. Diesen Anforderungen habe die Kinderärztin mit ihrer Darstellung der Gefahr nicht entsprochen. Der Hinweis auf die Verschiebung der Salze sei nicht geeignet gewesen, um der Mutter die Dringlichkeit der Behandlung begreifbar zu machen. Ärzte dürften sich nicht in ihre Fachsprache flüchten. Sie müssten sich vielmehr auf die Aufnahmemöglichkeiten ihres Gesprächspartners einstellen.

Da beide Kinderärzte nach Ansicht des Gerichts gegen ihre Pflichten verstoßen haben, müssen sie als Gesamtschuldner für den nachfolgend eingetretenen Gehirnschaden des Säuglings haften.