Ärzte müssen Software verwenden, die Änderungen an Patientendokumentation sichtbar macht
Marzena SickingEine elektronische Patientendokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennen lässt, kann nicht als Beweis für angeblich durchgeführte medizinische Maßnahmen geführt werden. Ärzte sollten deshalb nur fälschungssichere Software verwenden – oder bei papierenen Dokumentationen bleiben.
Ärzte sind zur Dokumentation der von ihnen getroffenen medizinischen Maßnahmen verpflichtet. Diese Patientendokumentation wird auch in Schadenersatzprozessen als Beweis herangezogen. Das geht allerdings nur, wenn die Dokumentation handschriftlich erfolgt oder mit einer fälschungssicheren Software gearbeitet wurde. Ansonsten haben E-Akten nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs nur einen eingeschränkten Beweiswert (BGH, Urteil vom 27.04.2021 – VI ZR 84/19).
Augenärztin wegen fehlerhafter Behandlung verklagt
Verhandelt wurde der Fall einer Augenärztin mit eigener Praxis, der ein Patient Behandlungsfehler vorwarf. Im November 2013 traten bei ihm plötzlich schwarze Flecken im linken Auge auf. Er erhielt einen Termin für den 7. November 2013 in der Praxis und wurde darauf hingewiesen, er möge eine Fahrbegleitung mitbringen, da eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung erfolgen werde.
Die Augenärztin erklärte ihm nach der Untersuchung, dass es sich bei den Beschwerden um eine altersbedingte Erscheinung infolge einer Glaskörpertrübung handle. Er müsse sich keine Sorgen machen. Am 14. Februar 2014 stellte allerdings ein Optiker bei einem Sehtest einen Netzhautriss fest, weshalb der Patient erneut in der Praxis vorstellig wurde. Die Augenärztin diagnostizierte eine Netzhautablösung und wies den Kläger darauf hin, dass es sich um einen Notfall handle und er sich sofort ins Krankenhaus begeben müsse. Dort wurde er operiert. In der Folge traten Komplikationen auf und er erblindete auf dem linken Auge.
Durchführung der Pupillenweitstellung strittig
Der Mann verklagte daraufhin die Augenärztin. Er warf ihr vor, sie habe bei der Untersuchung am 7. November 2013 einen Netzhautriss übersehen. Sie habe es damals versäumt, vor der Untersuchung die medizinisch gebotene Pupillenweitstellung zu veranlassen. Zum Beweis erklärte der Patient, er sei damals selbstständig mit dem Auto wieder nach Hause gefahren. Dies wäre mit weitgestellten Pupillen nicht möglich gewesen. Die Ärztin hatte aber in der elektronischen Patientenakte dokumentiert, dass die Pupillen medikamentös weit gestellt worden waren.
Zunächst wurde die Schadenersatzklage mit Verweis auf die ärztliche Dokumentation abgeschmettert. Das Oberlandesgericht stellte sich in der Berufung auf die Seite des Patienten. Und auch vor dem BGH bekam der Mann zumindest teilweise Recht. Wie das Gericht erklärte, ist eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen zulässt und diese nicht erkennbar macht, kein zuverlässiger Beweis dafür, dass die dokumentierte Maßnahme tatsächlich durchgeführt worden ist. Auch wenn der Patient selbst eine Manipulation an der Patientendokumentation nicht beweisen könne, sei diese kritisch zu sehen.
Neues Patientenrechtegesetz stellt höhere Anforderungen
Bis zum Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes wurde einer elektronisch erstellten Dokumentation in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich auch dann, wenn sie nachträgliche Änderungen nicht sichtbar machte, der volle Beweiswert eingeräumt, sofern die Dokumentation medizinisch plausibel war und der Arzt nachvollziehbar darlegte, keine Änderungen vorgenommen zu haben. Wie das Gericht erklärte, ist das mit dem neuen Patientenrechtegesetz so aber nicht mehr haltbar. Eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, genügt nicht den Anforderungen des § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB.