Mangelnde Aufklärung nach Frühgeburt: Sechsstellige Summe als Schmerzensgeld
Judith MeisterFrühchen brauchen eine engmaschige ärztliche Überwachung – und ihre Eltern zutreffende Informationen über die notwendigen Kontrollen. Fehlt es daran, sind die verantwortlichen Ärzte in der Haftung.
Kommt ein Kind deutlich vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt, haben die medizinische Betreuung des Frühgeborenen und die Aufklärung der Eltern einen hohen Stellenwert. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg in einem aktuellen Urteil entschieden (Az. 5 U 45/22).
Konkret ging es um einen Jungen, der in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kam. Entsprechend bestand – wie bei allen Frühgeborenen – ein hohes Risiko für eine Netzhautablösung. Bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus drei Monate nach der Geburt wurde das Kind denn auch regelmäßig durch einen Augenarzt untersucht. Bei der Entlassung erhielten die Eltern allerdings die Empfehlung, erst nach drei weiteren Monaten erneut eine Kontrolle durchführen zu lassen.
Säugling mit Netzhautablösung
Bereits nach etwa fünf Wochen stellte sich heraus, dass es bei dem Säugling zu einer Netzhautablösung gekommen war. Das Kind ist seither auf dem rechten Auge blind. Auf dem linken Auge besteht eine hochgradige Sehbehinderung. Die Eltern verklagten die Klinik wegen eines Aufklärungsfehlers auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
In erster Instanz scheiterten sie mit ihrem Anliegen: Das Landgericht Oldenburg hielt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem zu späten Kontrolltermin und der Netzhautablösung nicht für erwiesen
Falsche Empfehlung führte zur vermeidbaren Behinderung
Der 5. Senat des OLG Oldenburg bewertete den Fall anders. Die Empfehlung, das Kind erst drei Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wieder einem Augenarzt vorzustellen, sei sehr wohl als fehlerhafte Sicherungsaufklärung anzusehen. Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen hätte die gebotene deutlich frühere ärztliche Nachbegutachtung der Netzhaut mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erfolgreiche Laserbehandlung des Kindes ermöglicht. Die Klinik hafte daher für den entstandenen Schaden.
Im Ergebnis sprach der Senat dem Kind ein Schmerzensgeld in Höhe von 130.000 Euro zu. Damit ging es deutlich über den Antrag des Klägers hinaus, der nur ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 80.000 Euro verlangte. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass das Kind sein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein werde. Zudem wies es darauf hin, dass die Klinik auch für die materiellen Schäden aufkommen müsse, die nicht durch die Sozialversicherungsträger übernommen werden.
Rechtskräftig ist die Entscheidung allerdings noch nicht: Das OLG Oldenburg hat die Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugelassen.