Was Ärzte bei der Übergabe von Patientenakten beachten sollten
Dr. jur. Alex JanzenDem gewachsenen Patientenstamm kommt bei einer Praxisveräußerung eine zentrale Rolle zu. Doch einfach so dürfen neue Praxischefs nicht auf die Akten der früheren Patienten zugreifen. Wer hier die strengen Datenschutzgesetze missachtet, dem drohen nicht nur Geld-, sondern sogar Freiheitsstrafen.
Wird eine Arztpraxis veräußert, sind der Verbleib und das weitere Schicksal der Patientenakten ein sehr wichtiger Baustein. Während früher die Patientenakten schlicht als ein Bestandteil der Arztpraxis an den Erwerber übertragen wurden, ist eine solche Vorgehensweise heutzutage mit Blick auf den zwingend vorgeschriebenen Datenschutz nicht mehr möglich. Beide Parteien der Praxisveräußerung – Erwerber und Veräußerer – kommen deshalb nicht umhin, den einwandfreien Datenschutz für die Patientenakten der veräußerten Arztpraxis sicherzustellen.
Denn ein Patient hat ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Daten – hierzu gehören selbstverständlich auch Befunde über seine Behandlungen in einer Arztpraxis – einem Zugriff durch unbefugte Dritte entzogen sind. Als befugt gilt grundsätzlich nur die behandelnde Ärztin beziehungsweise der Arzt und unter bestimmten Voraussetzungen das Personal der betreffenden Arztpraxis.
Nicht befugt ist hingegen der Praxiserwerber. Dieser bleibt Dritter im Sinne des Datenschutzrechts. Greift der Praxiserwerber auf die Patientenakten zu, ohne dass er hierzu die Befugnis erhalten hat, kann dies sowohl für den Praxisveräußerer als auch für den Erwerber weitreichende Konsequenzen strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder berufsrechtlicher Art nach sich ziehen.
Strafrechtlicher Datenschutz: Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB)
Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) werden Ärzte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft, wenn sie ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis, das ihnen anvertraut oder in einer anderen Weise bekannt geworden ist, unbefugt offenbaren.
Ebenso strafbar ist es, wenn Ärzte ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis unbefugt weitergeben. Gut zu wissen: Die Verpflichtung zum Schutz der Patientendaten bleibt sogar auch nach dem Tod des Patienten bestehen. Behandelt eine Ärztin oder ein Arzt einen Patienten, stellt seine Patientenakte mit den darin enthaltenen Daten ein Geheimnis im Sinne des § 203 StGB dar.
Demnach bleiben Ärzte auch dann zum Schutz der Patientendaten verpflichtet, wenn die Praxis veräußert wird. Diese Verpflichtung geht nicht etwa auf den Erwerber der Arztpraxis über. Das bedeutet: Der Praxisabgebende wird durch die Veräußerung seiner Arztpraxis nicht von seiner Verpflichtung entbunden, die Daten seiner früheren Patienten zu schützen. Ermöglicht er dem Praxiserwerber einen Zugriff auf die Patientenakten ohne das Einverständnis eines jeden einzelnen betroffenen Patienten, kann er sich nach § 203 StGB strafbar machen.
Zivilrechtlicher Schutz: Nichtigkeit des Kaufvertrages (§ 134 BGB)
Grundsätzlich ist nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, unwirksam. Werden die Patientenakten daher im Kaufvertrag schlicht auf den Erwerber übertragen, sodass dieser ohne das Einverständnis der betroffenen Patienten auf deren Akten zugreifen kann, verstößt die betreffende vertragliche Klausel gegen den § 134 BGB und ist nichtig.
Gemäß § 139 BGB ist dann das ganze Rechtsgeschäft (hier: der Arztpraxis-Kaufvertrag) unwirksam, wenn nur ein Teil dieses Rechtsgeschäfts (hier: die Klausel über die Übertragung der Patientenakten auf den Praxiserwerber) nichtig ist.
Zudem muss auch gegeben sein, dass das Rechtsgeschäft ohne die betreffende Klausel unterlassen worden wäre. Im Fall einer Praxisveräußerung kann man davon ausgehen, dass der Interessent die Praxis nicht erwerben würde, wenn der alte Praxisinhaber seine Patienten weiter behandeln und die Patientenakten behalten würde. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Nichtigkeit der Klausel über die Übertragung der Patientenakten auf den ganzen Kaufvertrag durchschlagen würde. Die Folge wäre, dass die Veräußerung der Arztpraxis unwirksam wäre und der
Praxisveräußerer an den Praxiserwerber den Kaufpreis für die Arztpraxis zurückzahlen müsste.
Berufsrechtlicher Schutz: Aufbewahrungspflicht nach § 10 Abs. 4 MBO-Ärzte
Ärzte sind außerdem auch nach § 10 Abs. 4 Satz 1 MBO-Ärzte (Musterberufsordnung) dazu verpflichtet, ihre ärztlichen Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde aufzubewahren oder diese in gehörige Obhut geben. Werden diese bei einer Praxisübergabe oder -aufgabe bei einem ärztlichen Kollegen in Obhut gegeben, muss dieser sie unter Verschluss halten. Nur mit Einwilligung der Patienten dürfen sie eingesehen oder weitergegeben werden. Die Verletzung der Aufbewahrungspflicht nach § 10 Abs. 4 MBO-Ärzte beziehungsweise nach einer Satzungsregelung einer Ärztekammer, die diese Bestimmung umsetzt, kann von einer Ermahnung der Ärztekammer über eine Rüge ohne oder mit einem Ordnungsgeld bis zu einem berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden.
Lösungsmöglichkeiten: Einverständnis des Patienten und das Zwei-Schrank-Modell
Welche Möglichkeiten bestehen für den Erwerber einer Arztpraxis, sich einen rechtmäßigen Zugriff auf die Patientenakten zu verschaffen? Hierfür bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: das Einverständnis des Patienten und das sogenannte Zwei-Schrank-Modell.
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Einverständnis des Patienten
Wenn Patienten dem Praxiserwerber ihr Einverständnis in den Zugriff auf ihre Daten erklären, handelt der Praxiserwerber nicht mehr unbefugt und kann rechtmäßig zugreifen. Selbstverständlich müssen die Patienten ihr Einverständnis einzeln und vor dem Datenzugriff erklären. Das Einverständnis sollte im Übrigen für Beweiszwecke ausdrücklich und schriftlich festgehalten werden.
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Das Zwei-Schrank-Modell
Bei Praxisübertragungen hat sich auch das Zwei-Schrank-Modell bewährt. Nach dieser Methode, die auch unter § 10 Abs. 4 Satz 1 MBO-Ärzte umrissen ist, werden die Patientenakten des Praxisabgebers von denen des Erwerbers getrennt aufbewahrt. Die alten Akten bleiben zwar räumlich in der erworbenen Arztpraxis, allerdings unter Verschluss und so dem Zugriff des neuen Praxischefs entzogen. Erscheint ein früherer Patient zur Behandlung bei ihm, wird davon ausgegangen, er erkläre so sein Einverständnis in den Zugriff auf seine Daten, sodass der Praxiserwerber ab diesem Zeitpunkt befugt sei, darauf zuzugreifen.
Trotz der Etablierung des Zwei-Schrank-Modells liegen die Unzulänglichkeiten auf der Hand: Auch, wenn sich ein Patient eine ärztliche Behandlung durch den Praxiserwerber wünscht, folgt daraus noch lange nicht, dass der neue Arzt damit automatisch auf alle Daten und Befunde des Patienten zugreifen darf. Im Zweifel wird der Patient eher wünschen, dass die alten Befunde, welche mit der neuen Behandlung nichts zu tun haben, weiterhin unter Verschluss bleiben. Damit müsste der Praxiserwerber von diesem Patienten gleichwohl eine Einwilligung in den Zugriff in alle seine Patientendaten erhalten.
Es bleibt deshalb festzuhalten, dass nur das ausdrückliche Einverständnis eines Patienten in den Datenzugriff dem Praxiserwerber die Befugnis für den Zugriff auf Daten und Akten dieses Patienten rechtssicher gewährt.