Verheimlichte Coronainfektion melden? Ein datenschutzrechtliches Problem
A&W RedaktionDie anhaltende Corona-Pandemie stellt alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen vor neue, unbekannte Herausforderungen. Dazu gehört auch der Umgang mit Menschen, die eine Coronainfektion bewusst verheimlichen. Eine rechtliche Betrachtung.
Ärzte und vor allem Rettungskräfte werden immer wieder vor das Problem gestellt, dass Patienten oder Angehörige mögliche Symptome oder Hinweise auf eine Coronainfektion nicht mitteilen wollen oder diese gezielt verheimlichen.
Die Ursachen für dieses Verhalten können vielfältig sein. Gerade am Anfang der Pandemie mit zunehmender Überforderung des Gesundheitswesens hatten einige Patienten Angst, dass ihnen im Falle einer Infektion nicht geholfen werden würde. Doch zunehmend lassen sich Patienten beobachten, welche ihre mögliche Infektion bewusst vertuschen, da sie die Existenz oder Gefährlichkeit von Corona bagatellisieren.
Wenn Patienten die Corona-Infektion bewusst verschweigen
Dabei ist es in der Praxis vermehrt dazu gekommen, dass Patienten oder deren Angehörige auf routinemäßige Fragen von medizinischem Fachpersonal nach coronatypischen Symptomen oder Kontaktpersonen, falsche Angaben gemacht und so Personen in falscher Sicherheit gewogen haben. Dies führt dazu, dass z.B. viele Rettungsdienste im Einklang mit ihren Standardarbeitsanweisungen zwar weiterhin mit einer FFP2-Maske, Einmalhandschuhen und Schutzbrillen arbeiten, jedoch auf das Tragen weiterer Schutzausrüstung wie Face Shields oder Schutzoveralls verzichten. Dadurch setzen sich die Mitarbeiter einer erhöhten Gefährdung aus. Zudem können auch weitere Einsatzkräfte oder unbeteiligte Personen un- oder schlecht geschützt mit Covid-19 in Kontakt geraten und sich infizieren.
Strafrechtliche Konsequenzen kontra Datenschutz
Neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen für die Patienten oder deren Angehörigen stellt sich hier ein datenschutzrechtliches Problem. Wie kann medizinisches Personal reagieren, wenn es im Nachhinein von einer verschwiegenen Covid-Infektion erfährt, bei der Dritte ungeschützt mit dem Patienten in Kontakt geraten sind, der Patient aber aus datenschutzrechtlichen Gründen eine Weitergabe der Information verbietet?
Wo ein Bruch der Schweigepflicht erlaubt ist
Zunächst ist festzustellen, dass der betreffende Notarzt oder Notfallsanitäter einer Schweigepflicht nach § 203 I Nr. Var. 5 StGB unterliegt. Den Rettungssanitäter trifft hingegen eine abgeleitete Schweigepflicht nach § 203 III 2 StGB, welche dem Hauptberufsträger zuzuordnen ist.
Ein Bruch der Schweigepflicht könnte jedoch durch das Rechtsinstitut des Rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.
Wenn die mögliche Infizierung zwischen Patient und dem mutmaßlich Geschädigtem bereits abgeschlossen ist, scheitert dies jedoch an einer gegenwärtigen Gefahr für eine Ansteckung des Opfers, sodass eine Rechtfertigung der Informationsweitergabe über § 34 StGB problematisch ist.
Informationsweitergabe nur bei schweren Verbrechen erlaubt
Bei beendeten Straftaten wird eine Rechtfertigung nach § 34 StGB hinsichtlich einer Informationsweitergabe nur bei sehr schweren Verbrechen angenommen. Diese sind bei einer möglicherweise zugrunde liegenden vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung nicht einschlägig. Anders könnte es sich beim Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes verhalten.
Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB ist aber auch denkbar, wenn die Offenbarung des fremden Geheimnisses, z.B. eines positiven PCR-Ergebnisses, der sonstigen notwendigen Verfolgung eigener rechtlicher Interessen dient. Dabei ist z.B. an eine schlüssige Begründung für eine zivilrechtliche Schadensersatzklage zu denken.
Im vorliegenden Beispiel könnte zudem eine Rechtfertigung nach § 34 StGB vorstellbar sein, wenn die Offenbarung des Geheimnisses dem Schutz vor übertragbaren gefährlichen Krankheiten für ansteckungsgefährdete Dritte dient. Danach kann eine Offenbarungsbefugnis gegenüber Kontaktpersonen, dem Arbeitgeber oder Behörden (ggf. Gesundheitsamt) vorliegen.
Wenn Angehörige die Mitarbeit verweigern
Dies ist aber nur möglich, wenn der schweigepflichtige Arzt, wohl auch der Notfallsanitäter nach § 203 I Nr. 1 StGB, die Ansteckung nicht auf anderem Wege, insbesondere durch sachgerechte Unterrichtung und Unterweisung des Patienten o.ä. abwenden kann. Dabei ist zunächst an die reguläre Angabe von Kontaktpersonen durch die Angehörigen zu denken. Dies kann bei Patienten, die der sog. Querdenker-Szene nahestehen, problematisch sein, da sie vermutlich dieser Pflicht nicht nachkommen werden, da sie selbst oder deren Angehörige über den positiven Befund getäuscht haben.
Ob trotzdem ein solcher Versuch unternommen werden sollte, ist fraglich. So wird beispielsweise in der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Literatur die Weitergabe der Informationen an gefährdete Dritte bei konkreter Ansteckungsgefahr zugelassen, wenn keine Gewähr besteht, dass der Patient selbst oder die Angehörigen für die nötige Aufklärung sorgen.
Wann ernstlich davon ausgegangen werden kann, dass der Täter nicht freiwillig seiner Informationspflicht gegenüber möglichen Infizierten nachkommt, ist noch nicht abschließend beantwortet. Vorzugswürdig scheint eine Abwägung im Einzelfall nach den konkreten Umständen. So können insbesondere die getätigten Äußerungen, Handlungen, Motive, Aufkleber etc. eine Indizwirkung entfalten. Wirkt beispielsweise ein Täter reumütig und betroffen, ist eher von einer Warnung der gefährdeten Personen auszugehen. Verhält er sich dagegen aggressiv, abwehrend, vorwurfsvoll, uneinsichtig, gleichgültig oder einschüchternd, ist eine Rechtfertigung der Informationsweitergabe naheliegender.
Wie die vorliegenden Ausführungen gezeigt haben, ist die Rechtfertigung der Informationsweitergabe kompliziert. Vor allem kommt es auf die individuellen Umstände an, welche sorgfältig gegeneinander abzuwägen sind. Daher ist es empfehlenswert, sich in so einem Falle vor einer etwaigen Informationsweitergabe oder Anzeige rechtlich beraten zu lassen.
Autor: Johannes T. Kayser