Wann private Aktionen zum Kündigungsgrund werden
Judith MeisterWas Arbeitnehmer in ihrer Freizeit tun, ist Privatsache. Eigentlich. Denn besonders gravierende Fehlleistungen müssen Arbeitgeber auch dann nicht hinnehmen, wenn diese in der Freizeit passieren. Wann außerdienstliche Fehltritte eine Kündigung rechtfertigen können.
Damit hatte niemand gerechnet. Doch ausgerechnet die beste MFA im Praxisteam hat plötzlich Ärger mit der Polizei. Der Grund: Um einen Kredit zu bekommen, hatte die Frau ihrer Bank gefälschte Lohnabrechnungen vorgelegt. Diese wiesen ein deutlich höheres Einkommen aus, als die Helferin tatsächlich verdiente. In der Praxis hatte sich die Mitarbeiterin zwar nie etwas zuschulden kommen lassen. Doch der Vorfall hat das Vertrauen ihres Chefs erheblich erschüttert, vor allem weil die Frau auch hier regelmäßig mit Geld hantiert. Eine Trennung erscheint dem Praxisinhaber daher als die beste Lösung des Problems. Doch ist es überhaupt erlaubt, einen Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens vor die Tür zu setzen, das nicht während der Arbeitszeit stattfand? Und wenn ja: Welche Besonderheiten müssen Praxischefs in einer solchen Konstellation beachten?
Außerdienstlicher Fehltritt muss Auswirkung auf Arztpraxis haben
Grundsätzlich gilt: Das Weisungsrecht des Arbeitgebers gilt nur im dienstlichen Umfeld. Was Arbeitnehmer zu Hause oder in der Freizeit machen, hat den Chef also erst einmal nicht zu interessieren. Ein Rauswurf wegen eines schweren privaten Fehlverhaltens ist daher nur denkbar, wenn dieses direkte Auswirkungen auf das dienstliche Umfeld hat.
Verliert die MFA oder der angestellte Kollege in einer Landarztpraxis beispielsweise wegen einer privaten Trunkenheitsfahrt den Führerschein, kann eine Kündigung zumindest dann gerechtfertigt sein, wenn die Fahrerlaubnis für den Arbeitsalltag zwingend erforderlich ist. Das ist zum Beispiel der Fall, weil in der Praxis extrem viele Hausbesuche zu absolvieren sind.
Doch auch im Eingangsfall hätten Praxischefs keine schlechten Karten, wenn sie sich von einem Arbeitnehmer oder einer Arbeitnehmerin trennen wollten, der oder die in der Freizeit durch betrügerische Aktivitäten aufgefallen ist.
So entschied vor Kurzem das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm: Wer Arbeitsabrechnungen verfälscht, um einen (potenziellen) Kreditgeber über die eigene Kreditwürdigkeit zu täuschen, muss zumindest dann mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu seinen Arbeitsaufgaben gehört (Az. 8 Sa. 1671/19). Im konkreten Fall ging es zwar nicht um eine Arztpraxis, sondern um einen Vertriebsmitarbeiter in einem Smartphone-Laden. Dessen Tätigkeiten dürften entsprechend nur kleinere Schnittstellen mit denen einer MFA oder eines angestellten Arztes aufweisen. Dennoch belegt die Entscheidung einmal mehr, dass Praxismitarbeiter auch nach Feierabend keine absolute Narrenfreiheit besitzen und Ärzte nicht jedes private Fehlverhalten ihrer Belegschaft sanktionslos hinnehmen brauchen.
Sexuelle Freizügigkeit ist öfter ein Grund für Ärger
Besonders häufig müssen sich die Arbeitsgerichte mit Fällen auseinandersetzen, in denen der Arbeitgeber befürchtet, dass der Ruf des Unternehmens (bzw. der Praxis) Schaden nehmen könnte, weil ein Mitarbeiter sich in seiner Freizeit danebenbenimmt. Fast schon legendär in diesem Zusammenhang ist der Fall eines Zahnarztes aus Münster, der einer Mitarbeiterin kündigte, weil diese in ihrer Freizeit Pornofilme drehte.
Überhaupt scheinen Chefs mit schöner Regelmäßigkeit an einem allzu freizügigen Lebenswandel ihrer Mitarbeiter Anstoß zu nehmen: Ein Arbeitgeber aus Niederbayern etwa beendete die Zusammenarbeit mit einer Angestellten, weil diese sich unbekleidet in einer Illustrierten gezeigt hatte und im Gespräch mit der Redaktion ihre Vorliebe für „scharfe Spiele in Lack und Leder“ kundgetan hatte.
Beide Kündigungen standen jedoch auf tönernen Füßen. Während der Münsteraner Zahnarzt sich am Ende gütlich mit seiner früheren Mitarbeiterin einigte, kassierte das Arbeitsgericht Passau den Rauswurf der Lack-und-Leder-Liebhaberin. Das Argument: Der redaktionelle Beitrag beschreibe lediglich „offenbar gegebene sexuelle Praktiken“. Er sei „für sich genommen wertneutral“ und berechtige nicht zu einer Kündigung (Az. 2 Ca. 711/97 D).
Meinungsfreiheit hat in Zeiten von Social Media auch Grenzen
„Auch wenn es im Einzelfall zulässig sein kann, einem Mitarbeiter wegen eines privaten Fehlverhaltens zu kündigen, sind die Hürden für einen solchen Schritt doch recht hoch“, sagt Randhir K. Dindoyal, Rechtsanwalt aus München. „In jedem Fall gilt, dass Kündigungen nur als letztes Mittel zulässig sind und stets die Interessen des Praxischefs mit denen des betroffenen Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen sind.“
In Zeiten von Social Media besonders relevant ist überdies die Frage, wann private Meinungsäußerungen eines Arbeitnehmers kündigungsrelevant sein können. Das gilt nicht nur dann, wenn die betreffende Person auf Twitter, Facebook oder Instagram über Praxisabläufe, Kollegen oder den Chef lästert, sondern auch, wenn sie Äußerungen tätigt, die auf den ersten Blick nichts mit der Arbeit zu tun haben.
Besonders strikt sind die Gerichte bei rassistischen und antisemitischen Äußerungen. So entschied zum Beispiel das Arbeitsgericht Gelsenkirchen, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei, wenn ein Arbeitnehmer auf einem öffentlich zugänglichen Internetprofil unverblümt gegen Bürger mit Migrationshintergrund hetzt (Az. 5 Ca 1444/15). Der Mann, der auf seinem Profilbild in Arbeitsuniform zu erkennen war, hatte unter anderem gepostet, er wolle „Ausländer mit einer Eisenstange erschlagen“. Bei solch menschenverachtenden und tabu brechenden Äußerungen sei eine außerordentliche Kündigung zulässig, so das Gericht. Dies gelte umso mehr, als sich wegen des Profilbildes ein Bezug zum Arbeitgeber herstellen lasse.
Fristlose Kündigung wegen Verweigerung eines Corona-Tests
Heiß diskutiert wurde zu Beginn der Pandemie zudem der Fall einer Alten- und Pflegeheimmitarbeiterin, die in Berlin an einer Querdenker-Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teilgenommen hatte – ohne Maske und Mindestabstand.
Die Frau postete Bilder von sich und anderen Teilnehmern der Kundgebung auf ihrer Facebook-Seite. Als sie sich im Anschluss an die Veranstaltung krankmeldete, aber einen Corona-Test verweigerte, kündigte ihr Arbeitgeber fristlos.
Da sich die Mitarbeiterin noch in der Probezeit befand, war das kein größeres rechtliches Problem. Wäre die Frau jedoch schon länger ein Teil der Einrichtung gewesen, hätte der Arbeitgeber wohl zunächst mildere Mittel als eine Kündigung versuchen müssen, um das Verhalten zu sanktionieren – etwa, indem er die Mitarbeiterin während der Quarantäne ohne Bezahlung vom Dienst freistellt. Diese Maßnahme allerdings hätte die Reinigungsfachkraft hinnehmen müssen – zumal sie in ihrem Beruf täglich Kontakt zu Risikopatienten hat.
Checkliste: Außerdienstliches Fehlverhalten, das keine Kündigung rechtfertigt