Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Arbeitsrecht
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Um einen respektvollen und fairen Umgang mit schwerbehinderten Mitarbeitern – gerade in Kündigungssituationen – zu gewährleisten, ist es wichtig, die besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen zu verstehen und zu berücksichtigen. Aber ab wann gilt ein Mitarbeitender überhaupt als schwerbehindert?

Ab wann gilt man als schwerbehindert?

Eine Schwerbehinderung setzt einen Grad der Behinderung von mindestens 50 vo­raus (§ 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Über den Grad der Behinderung sowie die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft entscheidet das Versorgungsamt.

Bei einem geringeren Grad der Behinderung als 50, aber mindestens 30, kann der Arbeitnehmer beantragen, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden. Mit der Gleichstellung durch die Agentur für Arbeit genießt der Mitarbeitende dann grundsätzlich den gleichen „Status“ wie ein Schwerbehinderter.

Sonderkündigungsschutz für Mitarbeiter mit Schwerbehinderung

Abgesehen von den allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Aspekten, muss eine Schwerbehindertenvertretung, soweit eine solche in der Arztpraxis besteht, zwingend zur beabsichtigten Kündigung angehört werden. Unterlässt der niedergelassene Arzt oder die Ärztin diese Anhörung, ist die Kündigung unwirksam (§ 178 Abs. 2 SGB IX). 

Darüber hinaus bedarf die ordentliche oder außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters grundsätzlich immer der vorherigen Zustimmung des zuständigen Integrationsamts (§ 168 SGB IX). Anderenfalls ist die Kündigung allein aus diesem Grund ebenso unwirksam.

Wann muss das Integrationsamt einer Kündigung zustimmen?

Das Integrationsamt muss nur dann nicht beteiligt werden, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat. Übrigens: Auch in einem Kleinbetrieb ist dieser besondere Kündigungsschutz zu beachten (vgl. Artikel 11/2021 – Kündigung in Arztpraxen). 

Vor diesem Hintergrund hat die bisherige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung angenommen, dass ein Arbeitgeber auch nicht verpflichtet ist, innerhalb dieser sechsmonatigen Wartezeit das sogenannte Präventionsverfahren (§ 167 Abs. 1 SGB IX) durchzuführen.

Was passiert im sogenannten Präventionsverfahren?

§ 167 Abs. 1 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis möglichst frühzeitig zu klären, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

Neue Rechtsprechung zur Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter

Nun hat das Arbeitsgericht Köln im Dezember 2023 entgegen der bisherigen Rechtsprechung jedoch angenommen, dass eine Kündigung in der Wartezeit unwirksam ist, wenn ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt wurde (Urteil vom 20.12.2023 – Az. 18 Ca 3954/23).

Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass eine verbotene Diskriminierung von Schwerbehinderten anzunehmen ist, wenn der Betrieb gegen die Verpflichtung aus § 167 Abs. 1 SGB IX verstößt. Und eine Kündigung, die dieses in § 164 Abs. 2 SGB IX normierte Diskriminierungsverbot außer Acht lässt, ist unwirksam.

Fazit und Praxistipp für Arbeitgeber

Praxisinhaber sollten bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis vorsorglich auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes das Präventionsverfahren durchführen. Alternativ kann zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses an den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gedacht werden.

Die Autorin

Dr. Julia Friemel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Systemischer Coach. Kontakt und weitere Informationen unter https://arbeitsrecht-ammersee.de/