Ärger in der Arztpraxis: Fünf häufige Irrtümer über Abmahnungen
A&W RedaktionHalbwahrheiten und Mythen rund um die „gelbe Karte“ für Arbeitnehmer halten sich hartnäckig – und können fatale Folgen haben. Was sie über das Abmahnen wissen sollten.
Es ist nie schön, sich von Mitarbeitern trennen zu müssen. Wenn es aber doch einmal sein muss, sollten Ärzte darauf achten, dass die Kündigung juristisch wasserdicht ist. Dazu ist es – anders als vielfach angenommen – nicht immer erforderlich, zuvor eine Abmahnung auszusprechen.
Die 5 häufigsten Irrtümer:
Kündigungsschutzgesetz schützt vor Kündigung nach Abmahnung
Falsch. Wiederholte Verstöße können eine Kündigung zur Folge haben, dem steht auch das Kündigungsschutzgesetz nicht im Wege. Dieses bietet zwar einen gewissen Schutz, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Außerdem ist das Kündigungsschutzgesetz nur anwendbar, wenn in einer Praxis regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind (§ 23 KSchG). Auszubildende werden für diesen Schwellenwert nicht mitgezählt, Teilzeitkräfte, die weniger als 20 Stunden pro Woche arbeiten, erhalten einen Zählwert von 0,5. Wer bis zu 30 Stunden pro Woche Dienst schiebt, wird mit dem Faktor 0,75 berücksichtigt. Zudem können sich MFA und angestellte Kollegen erst auf die Regeln des Kündigungsschutzgesetzes berufen, wenn sie ohne Unterbrechung länger als sechs Monate in der Praxis unter Vertrag standen. Greift der allgemeine Kündigungsschutz nicht, kann der Praxisinhaber sie innerhalb der Kündigungsfrist ordentlich ohne besonderen Grund vor die Türe setzen.
In größeren Praxen sind Abmahnungen vor jedem Rauswurf Pflicht
Ganz so weit geht der Schutz der Arbeitnehmer dann doch nicht. Die Abmahnung ist grundsätzlich nur bei sogenannten verhaltensbedingten Kündigungen eine unverzichtbare Voraussetzung für die Kündigung. Also zum Beispiel, wenn der Mitarbeiter wiederholt unentschuldigt fehlt oder Kollegen/Patienten beleidigt. Dahinter steht der Gedanke, dass der Chef dem Delinquenten erst die Möglichkeit zur Besserung geben soll, bevor er endgültige Konsequenzen zieht (siehe dazu auch Irrtum Nr. 3). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Kündigungen, die auf Gründen basieren, an denen der Mitarbeiter nichts ändern kann, keiner vorherigen Abmahnung bedürfen. Betriebsbedingte Entlassungen müssen daher nicht von einem solchen Warnschuss flankiert werden.
Bei sogenannten personenbedingten Kündigungen ist zu unterscheiden: Erfolgt der Rauswurf aufgrund individueller Defizite, auf die der oder die Betreffende keinen Einfluss hat, ist die Abmahnung entbehrlich. Ein Beispiel: Die Helferin eines Landarztes verliert ihren Führerschein und kann deshalb nicht mehr zum Dienst erscheinen.
Als Ausnahme sind Fälle denkbar, in denen sowohl ein individuelles Defizit als auch eine schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten vorliegt. Beispiel: Eine MFA ist medikamentenabhängig und deshalb unfreundlich zu Patienten. Zudem weigert sie sich, eine Therapie zu machen. Tipp: In solch komplexen Fällen sollten sich Praxisinhaber vor dem Ausspruch einer Kündigung unbedingt durch einen Arbeitsrechtler beraten lassen.
Abmahnung oder Ermahnung – das macht keinen Unterschied
Leider doch. Denn die Abmahnung ist mehr als nur ein Hinweis darauf, dass im konkreten Fall etwas nicht nach Wunsch gelaufen ist. Sie ist so etwas wie die Vorstufe zu einer Kündigung. Darauf muss der Chef ausdrücklich hinweisen und den Ernst der Lage deutlich machen. Einer Abmahnung muss daher nicht nur zu entnehmen sein, woran der Arzt konkret Anstoß nimmt, also zum Beispiel an welchen Tagen sich die MFA um wie viele Stunden verspätet hat oder welche Äußerungen gegenüber Patienten inakzeptabel waren. Der Arzt muss die Rüge auch mit dem Hinweis verbinden, dass eine Kündigung droht, wenn der Mitarbeiter sein Verhalten in Zukunft wiederholt.
Eine gewisse Bewährungszeit muss der abgemahnte Mitarbeiter allerdings erhalten, um sein (neues) Wohlverhalten unter Beweis zu stellen. Als angemessen gelten in der Regel rund drei Monate. Wenn der Mitarbeiter diese Zeit nicht nutzt, um sich zu bessern, kann der Arzt die Kündigung aussprechen.
Nur eine schriftliche Abmahnung ist wirksam
Jain. Erfüllt eine Abmahnung die beschriebenen inhaltlichen Voraussetzungen, kann ein Arzt sie grundsätzlich auch mündlich aussprechen. Empfehlenswert ist das aber nicht – schließlich kann es sein, dass der Praxisinhaber später beweisen muss, dass er vor der Kündigung einen formvollendeten Warnschuss abgegeben hat. Das geht einfacher, wenn ein entsprechendes Papier vorliegt. Wer dennoch den weniger formalen Weg beschreiten will, sollte sich vom betreffenden Mitarbeiter wenigstens bestätigen lassen, dass dieser die Abmahnung vernommen und ihre Bedeutung verstanden hat.
Erst nach der dritten Abmahnung können Chefs eine Kündigung aussprechen
Falsch. Dieser Irrglaube hält sich – insbesondere unter Arbeitnehmern – zwar hartnäckig. Seinen Wahrheitsgehalt erhöht das aber nicht. Es ist die eine Sache, dass Ärzte, zumindest in größeren Praxen, erst die gelbe Karte zeigen müssen, bevor sie auf Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter mit einer Kündigung reagieren. Dass ein Chef kleinere oder größere Verfehlungen erst mit diversen solchen Briefen ahnden muss, entbehrt jedoch jeder Grundlage.
Mehr noch: Bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen vertragliche Pflichten ist eine Abmahnung sogar ausnahmsweise entbehrlich: Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn eine MFA nachgewiesenermaßen eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und während dieser Zeit ihr normales Gehalt kassiert hat. Gleiches gilt, wenn ein Arbeitnehmer droht „sich krank zu melden“, sollte er den gewünschten Urlaub nicht bekommen (und das dann auch tut) oder wenn er heimlich in die Praxiskasse greift.