Tschüss, Praxis: 20 Prozent der niedergelassenen Ärzte gehen bald in Rente
Marzena SickingDie jährliche Ärztestatistik gibt Auskunft über Trends in der Ärzteschaft. Jetzt erschien die Neue und bestätigt eine Entwicklung, die Sorgen macht. Denn 20 Prozent der Praxisinhaber gehen bald in Rente. Die ambulante Versorgung ist massiv gefährdet. Wie das Gesundheitssystem weiter funktionieren soll, ist erschreckend unklar.
Unser gesamtes gesellschaftliches Zusammenleben inklusive der Wirtschaft fußt auf einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Dies gilt zu jeder Zeit; die Corona-Krise führt es auch der Allgemeinbevölkerung verstärkt vor Augen. Doch die derzeit noch leistungsstarke ambulante Versorgung ist massiv gefährdet. Das zeigt die aktuelle Ärztestatistik 2019, die vor Kurzem von der Bundesärztekammer präsentiert wurde.
Es sei den hochmotivierten Ärztinnen und Ärzten, Medizinischen Fachangestellten, Pflegekräften und weiteren Gesundheitsberufen zu verdanken, dass wir bislang gut durch die Krise gekommen sind, betonte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt bei der Vorstellung der Studie. Doch trotz der Relevanz dieser Berufe bleibt die Lage angespannt und droht gar, zur Zerreißprobe zu werden. Denn der Behandlungsbedarf wächst mit der Zahl der älteren Patienten. Zwischen 2009 und 2017 stiegen schon die Behandlungsfälle in den Krankenhäusern von 17,8 auf 19,5 Millionen. Hinzu kamen eine Milliarde Arztkontakte in den Praxen.
Behandlungsbedarf wird nur noch schwer zu decken sein
Der Trend zur Teilzeit trägt zur Brisanz des Themas bei. Denn dieser bedingt, dass mehr neue Ärzte benötigt werden, um diejenigen zu ersetzen, die dem wohlverdienten Ruhestand entgegentreten. Wurden 2015 noch 108 Ärzte benötigt, um 100 Vollzeitstellen zu besetzen, lag diese Zahl im Jahr 2018 bei 115 – einem Mehrbedarf von sechs Prozent. Die zur Verfügung stehende ärztliche Arbeitszeit hat sich indes nicht erhöht. Trotz einer steigenden Zahl an Köpfen zeichnet sich also ab, dass der Behandlungsbedarf bald nur noch schwer zu decken sein wird – spätestens dann, wenn die Patienten der Babyboomer-Generation nach und nach die rüstige Rentenphase hinter sich lassen.
Darüber hinaus steht nicht jeder neu hinzukommende Arzt tatsächlich der Patientenversorgung zur Verfügung. 2019 stieg die Zahl der bei den Ärztekammern gemeldeten berufstätigen Ärztinnen und Ärzte nur gering, auf 402.119 gegenüber 392.402 im Jahr 2018. Dagegen stieg die Zahl der in anderen Feldern tätigen Ärzte überproportional um sechs Prozent.
Aufgefangen werden diese Entwicklungen teilweise durch mehr Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland. Ihre Zahl stieg um rund 3.800, also um sieben Prozent. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien und Rumänien. Häufige Heimatländer sind auch Griechenland, die Russische Föderation und Österreich. Doch es kommen nicht nur Ärzte, sie gehen auch. 2019 suchten 1.898 Ärzte aus Deutschland ihr Glück anderswo und wanderten ab.
Mit einer Praxis niederlassen? Lieber nicht!
Das grundsätzliche Problem lässt sich ohnehin nicht allein durch Zuwanderung lösen. Deutschland braucht mehr medizinischen Nachwuchs – und zwar schnell. Schon jetzt haben acht Prozent der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte das 65. Lebensjahr vollendet. Weitere zwölf Prozent waren am 31. Dezember 2019 zwischen 60 und 65 Jahre alt. Ein Fünftel der berufstätigen Ärzte wird also in absehbarer Kürze für die Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung stehen. Danach wird es von allein nicht besser: Geburtenstark wie ihre Jahrgänge waren, sind überproportional viele Ärztinnen und Ärzte aktuell zwischen 50 und 60 Jahre alt.
Zwar gab es im ambulanten Bereich einen sanften Zuwachs um 1,6 Prozent. Doch statt für eine Niederlassung entschieden sich immer mehr Ärzte für eine Anstellung. Die Zahl der ambulant Angestellten hat sich seit 1997 auf 44.000 versechsfacht. Die Zahl der Niedergelassenen hat sich um ein Prozent reduziert. Am 31.12.2019 waren 159.846 Ärztinnen und Ärzte ambulant tätig. Die Zahl der Niedergelassenen ist um 1.142 auf 116.330 Ärztinnen und Ärzte gesunken. „Die Politik sollte der Nachwuchsförderung und Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen höchste Priorität beimessen“, folgerte BÄK-Präsident Dr. Reinhardt aus der Summe dieser eindeutigen Zahlen.
Ein positiver Trend lässt sich aus der Ärztestatistik allerdings auch herauslesen: Die Zahl der Facharztanerkennungen entwickelt sich erfreulich. 13.742 Anerkennungen wurden 2019 ausgesprochen. 2018 waren es 13.336 gewesen. Mit 2.100 Anerkennungen wurde die Facharztbezeichnung für Innere Medizin am häufigsten erworben. Die Zahl der Anerkennungen in den Fächern Allgemeinmedizin sowie Innere und Allgemeinmedizin (Hausarzt) stieg gegenüber 2018 von 1.567 auf 1.689.