Psychische Belastungen: Klimaangst hält Einzug in den Praxisalltag
A&W RedaktionDie Psyche spielt im Kontext des Klimawandels eine entscheidende Rolle, nicht nur für erlebte traumatische Ereignisse bei Unwettern, sondern auch, wenn es um die Wahrnehmung der Dringlichkeit und der drohenden Konsequenzen geht.
Extremwetterlagen nehmen zu: Seit 1980 hat sich die Zahl der klimabezogenen Katastrophen mehr als verdreifacht. Das ist auch in Deutschland deutlich spürbar. Die Medien sorgen dafür, dass wir mitbekommen, was wir hierzulande (noch) nicht am eigenen Leib erleben. Und genau das ist das Dilemma: Einerseits sind Nachrichten ein starkes Vehikel, um den Klimawandel in das Bewusstsein der Menschen zu bringen, andererseits lösen solche Bilder eine ganze Bandbreite an negativen Emotionen aus, die lang- oder sogar kurzfristig unsere Psyche negativ beeinflussen.
Denn es sind nicht nur Hitze und Luftverschmutzung, die den besonders vulnerablen Menschen zu schaffen machen. Die Wahrnehmung und das Erleben von Veränderungen des Lebensraumes und der Lebensweisen durch die Klimakrise führt auch zu neuen Belastungsformen wie klimabezogener Angst, klimabezogener Trauer oder klimabezogenem Stresserleben.
Vor diesem Hintergrund stand der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2022 in Berlin auch im Zeichen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit.
Der Klimastress ist bereits bei jungen Menschen angekommen
Eine aktuelle Studie an der Universitätsklinik Heidelberg zeigte jetzt, dass bei über 200 untersuchten Medizinstudierenden zwar kaum depressive oder ängstliche Symptome in Hinblick auf die klimatischen Veränderungen auszumachen sind, dass jedoch bei 23 Prozent der Studierenden eine klimabezogene Stressbelastung vorliegt, die bei fünf Prozent als extrem hoch einzuschätzen ist.
Studierende mit einem ausgeprägten Kohärenzsinn und sicherem Bindungsstil leiden dabei weniger unter klimabezogenem Stress. Das Kohärenzgefühl beschreibt eine Grundhaltung zum Leben und der Welt, die davon getragen wird, dass das Leben sinnvoll ist, selbst wenn Rückschläge und Schwierigkeiten auftreten.
Es handelt sich um eine grundlegende Lebenseinstellung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß jemand ein überdauerndes Gefühl der Zuversicht hat.
Die ebenfalls in Heidelberg untersuchten Patientinnen und Patienten mit psychischen Vorerkrankungen zeigten eine noch höhere klimabezogene psychische Belastung und können deshalb als besonders vulnerable Gruppe für klimabezogene psychische Symptome angesehen werden.
„Die Klimakrise wird wie keine Krise zuvor allen Menschen weltweit ein integratives Denken und kooperatives Handeln abverlangen“, betonte Prof. Christoph Nikendei, Heidelberg, auf einer aktuellen Pressekonferenz.
In der Arztpraxis gewinnt der Klimawandel an Bedeutung
Die Wahrnehmung der aktuellen Bedrohungen führt zu psychischen Belastungen, die in den Behandlungen eine immer bedeutendere Rolle spielen werden. Extremwetterereignisse wie im Ahrtal werden häufiger auftreten und ein Mehr an Traumafolgestörungen und anderen psychischen Belastungen nach sich ziehen. Aus diesem Grund wird das Thema Klimawandel vermehrt Einzug in die therapeutischen Praxen halten. In diesem Kontext werden die psychosozialen Fachbereiche eine besondere Verantwortung haben.
Öko-Angst (eco-anxiety) … |
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Quelle: Hybride Presseveranstaltung im Rahmen des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am 22. Juni 2022 in Berlin
Autorin: Dr. Bettina Brincker