Was Ärzte wissen müssen, die Patienten am Lebensende begleiten
A&W RedaktionSterben ist Teil der menschlichen Existenz. Ambulante Palliativversorgung stellt niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aber immer wieder vor Herausforderungen. Um Patienten optimal zu begleiten, müssen sie die Strukturen kennen und sich mit rechtlichen Fragen auseinandersetzen.<img class=„ wp-image-805281 alignright“ src=„https://www.arzt-wirtschaft.de/wp-content/uploads/2020/10/Grafik-CME_2018_12.png“ alt=„Grafik CME Palliativmedizin“ width=„250“ height=„534“>
Obwohl sich in den vergangenen Jahren in der Palliativversorgung viel getan hat, verlangt die ärztliche Betreuung von Palliativpatienten Niedergelassenen viel ab. Großes zeitliches Engagement und damit verbundenes organisatorisches Geschick, Unterstützung der Patienten und Angehörigen nicht nur in der neuen Lebenssituation, sondern auch bei der Antragstellung, rechtliche Kenntnisse etwa beim Off-Label-Use von Medikamenten oder der Beachtung von Patientenverfügungen. Was dabei immer im Vordergrund steht: Die optimale Betreuung und Therapie für den Patienten sowie die Wahrung seiner Würde, auch im Sterbeprozess.
Was bedeutet Palliativmedizin?
Die World Health Organisation (WHO) definiert Palliativmedizin wie folgt:
Palliativmedizin/Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Palliativmedizin
- ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen
- bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an
- beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes
- integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung
- bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten
- bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit
- beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig
- fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen
- kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie zum Beispiel Chemotherapie, um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln.
Jeder Patient hat andere Bedürfnisse
Der Begriff der Palliativmedizin betrifft die medizinische Betreuung unheilbar Kranker, während der Begriff Palliativversorgung/Palliative Care die berufsübergreifende Zusammenarbeit eines interdisziplinären Palliativteams meint, in dem selbstverständlich auch Ärzte mitarbeiten.
In Deutschland wird die ambulante Palliativversorgung als Allgemeine Ambulante Palliativversorgung (Regelversorgung, sogenannte AAPV) oder als Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) erbracht. Letztere ist für Patienten gedacht, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen. Rund 90 Prozent der Schwerstkranken und Sterbenden werden im Rahmen der AAPV durch Haus-, Kinder- oder sonstige Fachärzte sowie Pflegedienste betreut. Für gesetzlich versicherte Patienten besteht ein Rechtsanspruch auf palliative Versorgung nach dem Fünften Sozialgesetzbuch (§ 27 SGB V).
Die AAPV kann man in eine Basisversorgung sowie die „besonders qualifizierte und koordinierte palliativ-medizinische Versorgung (BQKPMV)“ unterteilen. Für die palliative Basisversorgung der Patienten ist keine besondere palliativmedizinische Qualifikation des Arztes erforderlich. Um als Arzt an einer Vereinbarung über „besonders qualifizierte und koordinierte palliativ-medizinische Versorgung (BQKPMV)“ nach § 87 Abs. 1b SGB V in Verbindung mit Anlage 30 des Bundesmantelvertrags-Ärzte teilnehmen zu können, müssen Ärzte jedoch bestimmte Kriterien erfüllen. Für die Teilnahme ist ein entsprechender Antrag an die für den Sitz des Antragstellers zuständige Kassenärztliche Vereinigung zu richten. Der Arzt muss dabei seine praktischen und theoretischen Kenntnisse nachweisen.
Reichen die therapeutischen Möglichkeiten der AAPV nicht aus, um den Bedürfnissen des Patienten gerecht zu werden, kommt die SAPV zum tragen (§§ 37b, 132d SGB V). Die SAPV soll schwerstkranken Menschen mit komplexen Krankheitserscheinungen und ausgeprägter Symptomatik, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen, ein Sterben in der vertrauten häuslichen oder familiären Umgebung ermöglichen, wenn diese es wünschen.
Die SAPV kommt bei etwa zehn Prozent der Sterbenden zum Einsatz. Sie wird ärztlich verordnet und in der Regel von Palliative-Care-Teams erbracht. Zur Umsetzung der SAPV schließen die Krankenkassen Versorgungsverträge mit den Palliative-Care-Teams, zu denen auch Ärzte gehören. Wer als Arzt an einer solchen Versorgung teilnehmen möchte, muss besonders qualifiziert sein. Er benötigt eine anerkannte Zusatzweiterbildung Palliativmedizin sowie Erfahrung aus der ambulanten oder stationären palliativen Behandlung von Patienten.
Schwerstkranke Menschen versorgen
Die SAPV wird vom (Haus-)Arzt auf dem Vordruckmuster 63 verordnet. Er sollte wissen, wann Patienten für eine SAPV in Frage kommen und dies mit den Patienten und/oder den Angehörigen besprechen. Versicherte haben nach § 2 der Richtlinie des G-BA Anspruch auf SAPV, wenn
- sie an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch ihre Lebenserwartung begrenzt ist (§ 3) und
- sie unter Berücksichtigung der in § 1 genannten Ziele eine besonders aufwändige Versorgung (§ 4) benötigen, die nach den medizinischen und pflegerischen Erfordernissen auch ambulant oder an den in § 1 Abs. 2 und 3 genannten Orten erbracht werden kann.
Die vom Patienten durch Vorlage der Verordnung beantragten Leistungen bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkasse. Die Verordnung muss der Versicherung innerhalb von drei Arbeitstagen vorgelegt werden. Darauf sollten Ärzte ihre Patienten und die Angehörigen hinweisen. Werden Anträge zu spät oder unvollständig eingereicht, kann die Krankenkasse die Leistung schon aus diesem Grund verweigern. Bis zu ihrer Entscheidung über die weitere Leistungserbringung übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die verordneten und vom spezialisierten Leistungserbringer erbrachten Leistungen, wenn die Verordnung spätestens am dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Das Nähere regeln die Partner der Verträge nach § 132 d Abs. 1 SGB V. Die Drei-Tages-Frist kann praktisch dann zum Problem werden, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, selbst zu unterschreiben, die Krankenkassen aber auf dessen Unterschrift bestehen und es (noch) keinen Betreuer gibt oder dieser nicht schnell genug zu erreichen ist. So kann es tatsächlich zur Ablehnung der Kostenübernahme kommen.
Privatpatienten ohne Anspruch?
Privatversicherte Patienten haben keinen gesetzlichen Anspruch auf Übernahme der SAPV-Behandlungskosten. Ein solcher Kostenübernahmeanspruch besteht nur für die im Basis- oder Standardtarif Versicherten, da dieser Tarif gemäß § 12 Versicherungsaufsichtsgesetz dem gesetzlichen Leistungskatalog des SGB V angeglichen ist. Eine Kostenerstattung privater Krankenversicherer findet daher bisweilen nur auf Kulanzbasis statt. Das betrifft vor allem ältere Verträge. In jüngeren Versicherungsverträgen der privaten Krankenversicherer ist die Palliativversorgung dagegen inzwischen häufig Bestandteil. Beihilfeberechtigte sind hier besser gestellt. Denn nach § 40 der Bundesbeihilfeverordnung ist die SAPV beihilfefähig.
Die meisten Patienten, die einer SAPV bedürfen, leiden an onkologischen Erkrankungen. Man geht davon aus, dass sie rund 70 bis 95 Prozent der Patienten ausmachen und sie erst in den letzten Lebensmonaten intensiv betreut werden müssen. Immer wieder bedürfen jedoch auch andere Patienten einer dauerhaften oder intermittierenden SAPV, so zum Beispiel Patienten mit Muskeldystrophien oder Demenzerkrankungen.
Gerade bei dementen Patienten erfolgt aber nicht selten eine Ablehnung der Kostenübernahme mit dem Argument, die begrenzte Lebenserwartung sei nicht erkennbar. Das ist aber nicht in jedem Fall korrekt, da die durchschnittliche Überlebenszeit von Patienten mit Demenz nach der Diagnosestellung rund viereinhalb Jahre beträgt. In solchen und ähnlichen Streitfällen können Ärzte ihre Patienten argumentativ unterstützen. Ansatzpunkt kann hier der Aufwand beziehungsweise der Unterstützungsbedarf sein.
Schnittstellen als Problem
Probleme bei der Palliativversorgung von Patienten treten oft beim Übergang von stationärer Versorgung zu ambulanter Palliativversorgung auf, trotz des seit dem 01. Januar 2017 für gesetzlich Versicherte geltenden Anspruchs auf Entlassmanagement. Sie betreffen vor allem Versorgungslücken mit Medikamenten, insbesondere, wenn die Patienten Betäubungsmittel erhalten. Das führt nicht selten dazu, dass gerade aus dem Krankenhaus entlassene Patienten wieder dorthin zurückkehren müssen.
Wann immer möglich, sollten Ärzte im Sinne der Patienten und Angehörigen darauf hinwirken, dass eine Entlassung aus der stationären Versorgung möglichst nicht zum Wochenende, an Feiertagen oder spätabends erfolgt, wenn die SAPV nicht gesichert ist. Es muss zudem bei jeder Entlassung bedacht werden, die medikamentöse Versorgung bis zur SAPV sicherzustellen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Patient im Krankenhaus mit einer Infusionspumpe eingestellt ist.
Ein weiteres praktisches Problemfeld kann sich auftun, wenn Patienten Hilfsmittel benötigen. Häufig werden Hilfsmittel von den Krankenkassen nur genehmigt, wenn eine Pflegestufe vorliegt. Diese zu beantragen, kostet aber wiederum Zeit. Sind die Hilfsmittel am Entlasstag nicht vorhanden, kann es schnell zu einer Eskalation und stationären Wiederaufnahme des Patienten kommen. Auch an diesen Punkt sollten Ärzte denken, wenn sie mit Angehörigen oder Patienten über die ambulante Palliativbetreuung sprechen und diese vorbereiten.
Bereits mit dem Verständnis der Grundstrukturen und ihrer Klippen können Ärzte einen wichtigen Beitrag leisten.
GKV-Kostenübernahme bei Off-Label-Use im Palliativbereich
Im Palliativbereich bereitet der Off-Label-Use immer wieder Schwierigkeiten. Grundsätzlich dürfen Arzneimittel im ambulanten Bereich außerhalb der Zulassung nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angewendet werden. § 35c SGB V in Verbindung mit der Arzneimittelrichtlinie Anlage VI sieht zwar Ausnahmen vor. Palliativmedizinisch relevante Therapien sind hier aber nicht enthalten.
In § 2 Abs. 1a SGB V wird die Möglichkeit der Verordnung von zugelassenen Medikamenten im Off-Label-Use geregelt. Voraussetzung ist, dass eine lebensbedrohliche oder tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt, keine Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Bei der Kostenübernahme ergeben sich häufig Probleme, weil der Begriff „lebensbedrohlich“ eng im Sinne einer akuten Notstandslage ausgelegt wird und das Medikament den Verlauf der Erkrankung selbst positiv beeinflussen muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Nikolaus-Beschluss (06.12.2005) weitere Ausnahmen entwickelt. Hier wird vorausgesetzt, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, keine anderen Therapien zur Verfügung stehen und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
Für eine Kostenübernahme durch die GKV ist auch immer ein vorheriger Antrag nötig.
Richtung weisen, aufklären, beraten
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die Patienten am Lebensende begleiten, müssen sich immer wieder mit juristischen Fragestellungen auseinandersetzen. Etwa dann, wenn Patienten oder deren Angehörige von „Sterbehilfe“ sprechen, dabei aber mit Begriffen jonglieren, deren Bedeutung sie selbst nicht genau kennen. Palliativmedizin hat nichts mit Sterbehilfe zu tun. Der Arzt kann hier in einem ruhigen Gespräch darüber aufklären, was er tun kann und darf und was nach deutschem Recht verboten ist. Das ist auch für ihn wichtig, um sich nicht strafbar zu machen.
Praktisch relevant werden kann dieses Wissen beispielsweise dann, wenn ein Patient nach einem Schlaganfall nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern und zunächst in Absprache mit den Angehörigen eine Magensonde gelegt wird, um zu sehen, ob sich sein Zustand verbessert. Nach einiger Zeit kann es hier passieren, dass die Angehörigen die Einstellung der Sondenernährung wünschen, weil dies dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Hierfür ist es wichtig, die verschiedenen Begriffe in der Diskussion auseinanderzuhalten.
Diese Begriffe sollten Patienten kennen:
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn etwa ein Arzt einem tödlich erkrankten Patienten mit dessen Einverständnis schmerzlindernde Medikamente verabreicht, die als Nebenwirkung den Todeseintritt beschleunigen. Diese Art der Lebensverkürzung ist nicht strafbar, wenn sie dem ausgesprochenen oder niedergeschriebenen Willen des Patienten entspricht, da ein schmerzfreies Sterben als das höhere Rechtsgut gegenüber einer Lebensverlängerung eingestuft wird. Verweigert der Arzt solche Medikamente mit der Begründung, keinen vorzeitigen Tod herbeiführen zu wollen, kann er sogar wegen Körperverletzung oder unterlassener Hilfeleistung bestraft werden.
- Als passive Sterbehilfe bezeichnet man den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen (z.B. Sondenernährung). Das „Sterbenlassen“ ist dann zulässig, wenn eine entsprechende Willenserklärung des Patienten vorliegt oder von den Angehörigen glaubhaft nachgewiesen werden kann. Folgen Ärzte dieser nicht, können sie wegen Körperverletzung bestraft werden.
- Aktive Sterbehilfe, also das direkte Töten eines Menschen auf Verlangen, etwa durch das Spritzen einer Überdosis von Medikamenten, ist in Deutschland verboten (§ 216 StGB). Selbst der ausdrückliche und ernste Sterbewunsch des Patienten ändert nichts daran. Aktive Sterbehilfe wird als „Tötung auf Verlangen“ mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft.
- Bei der Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) bleibt der letzte Schritt dem Sterbewilligen überlassen. Da die Selbsttötung nicht strafbar ist, ist auch die Beihilfe dazu nicht strafbar, es sei denn – und das ist für Ärzte wichtig – der Helfer handelt geschäftsmäßig (§ 217 StGB). Die Rechtslage ist seit Inkrafttreten des neuen § 217 StGB im Jahr 2015 kompliziert.
§ 217 StGB: rechtlicher Graubereich
So durfte früher ein Arzt einem Sterbewilligen aus strafrechtlicher Sicht eine Überdosis Tabletten oder eine Spritze reichen. Hat dieser sie dann eingenommen oder sich verabreicht und war bewusstlos geworden, war fraglich, ob ihm sofort geholfen werden muss. Geschah dies nicht, konnte das als unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) bestraft werden. Lag eine eindeutige Willensbekundung des Patienten vor, machte sich der Arzt aber nicht strafbar. Der Bundesgerichtshof hat dieses Vorgehen 2019 gebilligt. Für den Arzt bleibt aber zu bedenken, dass ihm das Standesrecht je nach Bundesland einen assistierten Suizid verbietet und er sich wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar machen kann.
Seit Inkrafttreten des neuen § 217 StGB ist allerdings umstritten, ob diese Art der Beteiligung für den Arzt noch straffrei möglich ist, vieles spricht dagegen. Höchstrichterlich geklärt ist die Frage nicht.
Doch § 217 StGB hat noch weitere Tücken. Früher handelte ein Arzt, der einen Patienten beim Sterbefasten palliativmedizinisch betreute, im Einklang mit deutschem Recht. Doch nach § 217 StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Auch Ärzte, die einen Palliativpatienten beim Sterbefasten beistehen, gehen damit grundsätzlich das Risiko ein, mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft zu werden. Was also tun, wenn ein Palliativpatient die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit freiverantwortlich einstellen möchte und dazu den Arzt um Unterstützung bittet?
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob die Einstellung der Nahrungsaufnahme und des Trinkens juristisch gesehen überhaupt eine Selbsttötung darstellt. Im Sterbeprozess selbst lassen das natürliche Hunger- und Durstgefühl nach, schon begrifflich kann hier daher weder von Fasten noch von einer Selbsttötung gesprochen werden. Wer aber gezielt handelt, um unabhängig von der Erkrankung früher und ohne Spätsymptome zu sterben, begeht nach der überwiegenden juristischen Meinung eine Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB. Allerdings ist die freiverantwortliche Selbsttötung ein Grundrecht. Ist § 217 StGB damit verfassungswidrig? Juristen streiten darüber. Entschieden wurde ein entsprechender Fall vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls noch nicht.
Zur Sterbebegleitung durch Ärztinnen und Ärzte gehören auch Gespräche mit dem Patienten, wie er sich das Lebensende vorstellt. Dabei muss an die Möglichkeit gedacht werden, dass der Patient zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr einwilligungsfähig ist. Ärzte sollten sich daher auch mit diesen rechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen und im Dialog mit dem Patienten und eventuell seinen Angehörigen dazu ermutigen, die künftige medizinische Versorgung zu regeln. Der Bundesmantelvertrag-Ärzte sieht in Anhang 30, § 5 Absatz 1 vor: „Der Arzt übernimmt die ärztliche Beratung und Aufklärung über die Möglichkeiten der Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung, sofern diese nicht vorliegen.“ Drängen dürfen Ärzte dabei allerdings nicht.
Patienten sensibel beraten
Mit der Vorsorgevollmacht bevollmächtigt der Patient eine Vertrauensperson für bestimmte Bereiche, etwa gesundheitliche Angelegenheiten, für den Fall seiner Geschäfts- und/oder Einwilligungsunfähigkeit. Wird er dann tatsächlich geschäfts- und/oder einwilligungsunfähig, kann der Bevollmächtigte Behandlungsverträge abschließen und eine eventuelle Patientenverfügung durchsetzen oder an Stelle des Patienten nach Maßgabe seiner geäußerten Wünsche oder seines mutmaßlichen Willens über Behandlungen entscheiden. Eine solche Vollmacht muss schriftlich erteilt werden. Sie kann auch durch einen Notar beurkundet werden. Das ist aber nicht zwingend. Der Patient kann die Vollmacht jederzeit, auch mündlich, widerrufen. Hat der Arzt Zweifel an der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmacht, kann er beim Betreuungsgericht ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers anregen. Das Gericht entscheidet dann implizit auch über die Wirksamkeit der Vollmacht. Bei Abfassung der Vorsorgevollmacht muss der Patient voll geschäftsfähig sein.
Unter einer Betreuungsverfügung versteht man dagegen eine für das Betreuungsgericht bestimmte Willensäußerung eines Patienten für den Fall der Anordnung einer Betreuung. Ein solcher Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Patient infolge einer Krankheit seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst erledigen kann und deshalb ein Betreuer bestellt werden muss. In der Betreuungsverfügung wird festgehalten, wen sich der Betreute als Betreuer in Gesundheitsangelegenheiten wünscht. Dieser wird dann vom Gericht bestellt.
Kleiner, aber feiner Unterschied
Der Unterschied zwischen Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung: Mit der Vorsorgevollmacht bestimmt der Patient selbst einen Vertreter, dieser kann bei Einwilligungsunfähigkeit sofort tätig werden. Im Falle einer Betreuungsverfügung bestellt das Gericht einen Betreuer und prüft dabei auch, ob der Vorschlag noch dem aktuellen Willen des Patienten entspricht. So oder so erfordert beides ein gefestigtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem Bevollmächtigten oder Betreuer. Häufig wird der Arzt in den Entscheidungsprozess eingebunden.
Eine Patientenverfügung ist nach der Definition des § 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB die schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Der mündlich geäußerte Wille zählt daher nicht als Patientenverfügung. Die Verfügung muss eigenhändig unterschrieben werden und sollte mit dem aktuellen Datum versehen werden. Handschriftlich abgefasst werden muss sie aber nicht. Vorsicht ist geboten, wenn die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten durch seine Krankheit bereits stark beeinträchtigt ist. Möglicherweise ist er dann nicht mehr einwilligungsfähig. Dies muss gegebenenfalls ein Arzt prüfen.
Wichtig ist: Sowohl der Arzt als auch der Vertreter haben immer den Willen des Patienten zu beachten. Der aktuelle Wille eines einwilligungsfähigen Patienten hat immer Vorrang, auch dann, wenn der Patient einen Bevollmächtigten oder Betreuer bestimmt hat. Auf einen früher geäußerten Willen kommt es daher nur an, wenn der Patient seinen Willen aktuell nicht mehr kundtun kann oder einwilligungsunfähig ist. Umgekehrt gilt: Eine eindeutige Patientenverfügung ist für den Arzt in diesem Fall direkt bindend. Hat der Patient keinen Bevollmächtigten oder Betreuer bestimmt, braucht der Arzt auch keine Betreuung durch das Gericht anregen, sofern er keine berechtigten Zweifel daran hat, dass die Patientenverfügung auf die aktuelle Behandlungssituation zutrifft.
Arzt als Wegweiser und Berater
Für Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung existiert eine Vielzahl von Mustern. Der Arzt kann unmöglich wissen oder gar prüfen, ob diese den aktuellen Stand der Rechtsprechung entsprechen. Er kann aber auf die Muster seriöser Institutionen verweisen wie beispielsweise des Bundesjustizministeriums oder der Ärztekammer. In der Regel sollte der Wunsch nach einem Gespräch über diese Themen vom Patienten ausgehen. Allerdings kann es die ärztliche Fürsorge gebieten, das Thema selbst aufs Tapet zu bringen, vor allem dann, wenn nicht mehr viel Zeit bleibt. Beim Abfassen des eigenen Willens kann der Arzt ein wertvoller Berater sein und mit medizinischen Informationen zu einer Entscheidung des Patienten beitragen.