Frauen führen Praxen anders: Schneller gestresst als männliche Kollegen?
André BernertAndré Bernert ist Geschäftsführer der Medical Management Partner und seit 2001 Experte für Arzt- und Zahnarztpraxisberatung und -bewertung. In den nächsten beiden Artikeln geht es um das Thema „Frauen führen Praxen anders“. Doch keineswegs sind diese Artikel nur für Frauen. Im Bereich der Mitarbeiterführung bestehen die größten Defizite, unabhängig vom Geschlecht.
Achtung, in diesem Artikel werden bewusst ein paar „Schubladen“ aufgemacht. Keine der Behauptungen sind despektierlich gemeint und niemals sollen sich alle Personen der jeweiligen Gruppe angesprochen fühlen. Fühlen Sie sich frei, zu entscheiden, ob die eine oder andere Beschreibung auf Sie zutrifft und wie Sie ggf. damit umgehen möchten.
Frauen vertrauen eher anderen Frauen im Team
Für Außenstehende ist es offensichtlich. Ein Praxischef ist emotional weiter von seinen Mitarbeiterinnen entfernt als eine Praxischefin. Eine Frage des Respekts? Wenn ja, würde man pauschal davon ausgehen, dass Praxisinhaberinnen von ihren Teams weniger respektiert werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach den Beobachtungen von meinen Praxisberatern und mir im Team könnte man sogar so weit gehen, dass der Respekt und das Vertrauen zu einer Chefin erheblich größer sind. Das erklärt sich so: Hat eine Mitarbeiterin ein Problem, vertraut sie sich in einer männergeführten Praxis eher einer Kollegin an. In einer Praxis, die von einer Frau geführt wird, ist die Chefin ebenso häufig die direkte Ansprechpartnerin. Der Grund liegt auf der Hand. Die Empathie von Frau zu Frau ist einfach höher. Aufgrund der emotionalen Verbundenheit geht eine Praxischefin stärker auf die Mitarbeiterin ein. Das schafft Vertrauen, kann aber auch negative Konsequenzen nach sich ziehen.
Mehr offene Konflikte in frauengeführten Praxen
Nicht jeder Konflikt ist ein Konflikt und nicht bei jedem Problem muss ein Fass aufgemacht werden. Ich bin mir sicher, das ist Ihnen bewusst. Allerdings lässt sich das nicht immer so einfach erkennen. Während Frauen sich lieber einmal mehr mit einem Thema beschäftigen, blenden Männer es eher aus. Verdeutlicht wird das durch folgende Zahlen. Seit 2016 haben sich 53 % frauengeführte und 39 % männergeführte Praxen bei mir gemeldet. 8 % der Praxen hatten beide Geschlechter auf der Gesellschafterebene. In 78 % der Praxen gab es einen Konflikt im Team. In der Regel waren sogar mehrere Mitarbeiterinnen darin verwickelt, aktiv oder passiv. Jetzt kommt es: 95 % der Chefinnen haben erkannt, dass es im Team hakt. Von den Chefs waren es gerade einmal 28 %. Das haben wir erst im Rahmen einer Praxis-Kurzanalyse entdeckt. Dabei war die Konfliktrate auf beiden Seiten nahezu identisch. Was bedeutet das? Frauen nehmen Stress viel früher wahr, lassen sich davon aber auch schneller anstecken. 83 % der Praxisinhaberinnen fühlten sich demnach regelmäßig beruflich gestresst. Von den männlichen Kollegen waren es nur 66 %.
Warum man als Chefin nicht auf jedes Problem eingehen sollte
Vor einem guten Jahr starteten wir die Betreuung einer jungen Zahnärztin, die uns fast täglich auf der Hotline anrief und uns jeweils eine neue Stresssituation in der Praxis beschrieb. Wir nennen das „auf jeden roten Ballon springen.“ Der rote Ballon ist ein Synonym für ein Problem(chen). Sie meinte, es falle ihr schwer, nein zu sagen. Sie würde sich um jedes Anliegen sofort kümmern und arbeite dadurch sehr fremdbestimmt. Geht es Ihnen auch so? Stoppen Sie es jetzt! Diese Problem(chen) sind nämlich die entscheidenden Zeitfresser und Stressoren, die es zu identifizieren und zu eliminieren gilt.
Zwei Tipps:
- 1. springen Sie nicht auf jedes Thema sofort an.
- 2. steigen Sie nicht immer auf der Detailebene mit ein.
Sie werden schnell merken, wie befreiend das für Sie persönlich ist. Die Zahnärztin war im ersten Moment skeptisch. Sie sagte: „Im Grunde ist es egal, was ich mache, einer Seite werde ich sowieso nicht gerecht. Entweder meiner Praxis und meinen Mitarbeiterinnen oder meiner Familie und mir.“ Nach unserer Beobachtung stecken die meisten Praxisinhaber im Privatleben zurück. Das verstärkt das Stressgefühl erheblich. Durch ein paar Tricks hat sich das aber auch bei dieser Zahnärztin schnell gelegt.
To-Dos nach “wichtig” und “dringend” clustern
Frauen haben häufiger ein schlechtes Gewissen. Das Ziel ist nicht, es allen recht zu machen, sondern die richtige Balance zu finden. Und die wird bei Ihnen sicherlich etwas anders definiert sein als zum Beispiel bei der Zahnärztin. Ich gebe Ihnen heute noch einen weiteren Tipp mit, damit Sie im Praxisalltag weniger gestresst sind. Im zweiten Teil von „Frauen führen Praxen anders“, zeige ich Ihnen dann, wie Sie Praxisführung und Familie zusammen meistern und auf beiden Ebenen erfolgreich sind.
Zum Beispiel geht es um den Bereich Finanzen und die Dinge, die Ihr Steuerberater nicht abdeckt. Aber zurück zum heutigen Thema: Sie müssen nicht alles sofort erledigen. Priorisieren Sie Ihre Aufgaben. Ich empfehle Ihnen nach den Kriterien „wichtig“ und „dringend“ zu clustern. Zum Beispiel müssen Sie To-dos, die wichtig und dringend sind, schnell erledigen, während Sie wichtige Dinge, die nicht dringend sind, auf einen geeigneten Termin legen können. Damit steigern Sie die Qualität Ihrer Arbeit und sparen Zeit. Das gilt sowohl für kleine Probleme im Alltag als auch für die übergeordneten Praxisthemen. Sie werden merken, wie viele „Probleme“ weder wichtig noch dringend sind und viel entspannter sein.
Unser Tipp: Bleiben Sie patientenorientiert und lassen Sie sich dabei helfen, wo Ihre Praxis es braucht (Ihre Patienten tun das ja auch).