Praxisexpansion: Wie Führung gelingt, wenn Praxen wachsen
Jonas KockMit dem Wandel im Gesundheitsmarkt gehen immer mehr Praxisexpansionen einher. Ob MVZ, BAG oder andere Kooperationsformen: Größere Praxiskonstrukte sind bundesweit auf dem Vormarsch, denn sie bringen einige wirtschaftliche und personelle Vorteile für Praxisinhaberinnen und -inhaber mit sich.
Größere Praxisstrukturen bedeuten aber auch Mehraufgaben im Praxismanagement und in der Personalführung. Schnell kann es passieren, dass der Gründer, die Gründerin kaum mehr Zeit für die eigentliche Berufung findet – der ärztlichen Behandlung – oder die Personal- und Geschäftsführung stiefmütterlich behandelt werden. Denn in komplexeren Organisationsformen sind Management- und Führungsarbeiten nicht mal eben nebenbei gemacht.
Wie können Geschäftsführung und Behandleraufgaben miteinander vereinbart werden, wenn Praxen wachsen? Mit dem passenden Führungswissen schaffen es Praxisinhaberinnen und -inhaber, Leitungsaufgaben abzugeben und gleichzeitig die Fäden der Führung zusammenzuhalten.
Ihr wichtigstes Führungsinstrument: Delegation
Es ist illusorisch anzunehmen, man könne eine Großpraxis mit 3 Standorten und 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allein managen. Selbst zu zweit ist es für leitende Ärztinnen und Ärzte fast unmöglich, jedem Teammitglied die Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Unterstützung zu schenken, die es braucht, ohne sich selbst dabei zu überfordern oder die Behandlung zu kurz kommen zu lassen.
Die Lösung ist so leicht gesagt, fällt vielen Führungskräften dennoch schwer: Delegation ist der Hebel für mehr Entlastung und Mitarbeiterorientierung.
Eine gezielte Aufgabenteilung und die Übertragung von Verantwortlichkeiten helfen, persönliche Ressourcen effizienter einzusetzen. Eine zweite Führungsebene einzuziehen, ist oft der Schlüssel, um Führungs- und Managementaufgaben so zu delegieren, dass die Geschäftsführung einer Großpraxis handelbar wird und Mitarbeiterbedürfnisse angemessen berücksichtigt werden können.
So delegieren Sie wirkungsvoll
Delegation braucht Struktur, die Zuweisung klarer Aufgaben- und Verantwortungsbereiche. Anhand eines Praxisorganigramms und ausformulierter Stellenbeschreibungen wird definiert, wer welche Praxisbereiche und -teams verantwortet, welche Tätigkeiten in den Verantwortungsbereich fallen und Weisungsbefugnisse gelten.
Obwohl die Entlastung der Geschäftsführung ein wichtiger Aspekt bei der Delegation von Aufgaben ist, dürfen die Praxisziele nicht aus dem Blick verloren gehen. Es ist daher ratsam, bei der Aufgabenverteilung Teilziele mitzudenken.
- Überlegen Sie sich, was überhaupt alles zu tun ist.
- Bestimmen Sie die einzelnen Teilaufgaben.
- Legen Sie das angestrebte Ergebnis fest.
- Überlegen Sie sich, welche Abweichungen vom Soll in Kauf genommen werden können.
- Überlegen Sie sich, welche Schwierigkeiten zu erwarten sind.
- Delegieren Sie möglichst ganzheitliche Aufgaben.
- Geben Sie einen klaren Auftrag.
- Räumen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Spielräume bei der Ausführung des Auftrages ein.
- Stellen Sie die notwendigen Befugnisse und Kompetenzen zur Verfügung.
Eine zweite Führungsebene etablieren
Festgelegte Werte, ab welcher Personalgröße eine zweite Führungsebene sinnvoll ist, gibt es nicht. Managementexperten sprechen von zehn bis 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern je Führungskraft – abhängig vom Aufgabenfeld und den individuellen Führungskompetenzen.
Bei der Übertragung von Personalführungsaufgaben in eine zweite Leitungsebene kommen oft neue Rollen auf (angestellte) Ärztinnen und Ärzte zu. Gute Führung erfordert besondere Fähigkeiten und Methoden im Umgang mit dem Praxispersonal. Nicht jedem Menschen sind diese Kompetenzen von vornherein inne. Schließlich ist der beste Golfspieler nicht automatisch auch der beste Golftrainer. Systematische und fachlich fundierte Prozesssteuerung und Menschenführung sind jedoch grundlegend, um im Praxisalltag wettbewerbsfähig und erfolgreich zu sein.
Die gute Nachricht ist: Führung kann man lernen.
Führungskräfte-Coachings helfen Praxisinhaberinnen, -inhabern sowie Ärztinnen und Ärzten, die Führungsaufgaben übernehmen wollen, Personalaufgaben souverän zu meistern. So entwickeln Teilnehmerinnen und Teilnehmer beispielsweise in den Führungskräftetrainings von Kock + Voeste ein zu ihnen passendes Führungsselbstbildnis mit einem entsprechend stimmigen Führungsstil. Sie lernen zu entscheiden, wann direktive oder non-direktive Mitarbeiterführung gefragt ist und wie es gelingt, Vielfalt in der Belegschaft zu managen.
Hat der Praxisgründer, die Praxisgründerin bereits eine erfolgreiche Führungskultur etabliert, gilt es, diese auf die zweite Führungsebene zu übertragen und an allen Praxisstandorten zu implementieren. Ein konsistentes Führungsbild stärkt das Vertrauen der Praxisbelegschaft in den Führungskreis, gibt Orientierung und Handlungssicherheit.
Befähigen statt selbst machen
Die Führungskultur des 21. Jahrhunderts unterliegt einem Paradigmenwechsel. Wo Unternehmensverantwortung früher auf einige wenige Personen konzentriert war, gilt es heute, die Eigenverantwortung jeder einzelnen Praxismitarbeiterin und jedes einzelnen Praxismitarbeiters zu stärken. Das trifft auf die Führung einer Einzelpraxis wie auf die MVZ-Führung zu.
Nicht nur die wachsende Komplexität und Geschwindigkeit des Geschäftslebens macht dieses Umdenken nötig. Auch den veränderten Erwartungen und Ansprüchen der Arbeitnehmerschaft wird dieser Wandel gerecht.
Die Stärke einer Führungskraft besteht heute nicht mehr darin, alles allein bewältigen zu können. Vielmehr sind Ärztinnen und Ärzte in Führungspositionen angehalten, die Potenziale ihrer Teammitglieder zu erkennen und optimal auszuschöpfen: um die eigenen Ressourcen zu schonen, den Fokus auf die wesentlichen Dinge richten zu können und die Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken. Letzteres wirkt sich auch nachweislich positive auf die Motivation, Produktivität und Bindung Ihrer Belegschaft an Ihr Gesundheitsunternehmen aus.
Voraussetzung für das Abgeben von Verantwortung ist ein kooperativer und situativer Führungsstil. Er steht im Gegensatz zur autokratischen Führung und berücksichtigt vor allem die emotionalen und sozialen Aspekte der Zusammenarbeit. Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden in der kooperativen Führung als Partnerinnen und Partner, nicht als Untergebene, verstanden. Es geht darum, sich in Kompetenzen zu ergänzen und die Verantwortung für die Unternehmensentwicklung auf mehrere Schultern zu verteilen.
Gespräche haben eine zentrale Bedeutung
Mitarbeitergespräche, die Teil einer gelebten Praxiskultur sind und wirkungsvoll eingesetzt werden, zählen zu den effektivsten Führungsinstrumenten in Praxen und Unternehmen.
Zielvereinbarungsgespräche unterstützen die Mitwirkung aller Teammitglieder an der Erreichung Ihrer Praxisziele. Sie dienen primär der Zielvorgabe und Zielkommunikation an Ihre Praxisbelegschaft und finden in der Regel als Vier-Augen-Gespräch statt. Wichtig ist eine präzise Zielformulierung, die messbar, realistisch und terminiert ist.
Das Zielvereinbarungsgespräch sollte immer gut vorbereitet sein. Ein Fahrplan kann helfen, eine offene und konstruktive Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
6 Schritte für Ihr Zielvereinbarungsgespräch
- Kurzer, positiver Gesprächseinstieg: „Ich freue mich, Sie zu sehen.“
- Rückblick: Positives stärken. „Was macht Ihnen an dieser Aufgabe Spaß?“ „Wo sehen Sie Ihre Stärken?“
- Rückblick: Negatives schwächen. „Was hat Ihnen nicht so viel Freude gemacht?“ „Was ist Ihnen nicht gelungen?“
- Ausblick: Nächste Schritte. „Wie können wir das ändern?“ „Was nehmen Sie sich als Nächstes vor?“
- Unterstützung anbieten: „Wo erwarten Sie von mir Unterstützung?“
- Nächstes Gespräch vereinbaren: „Dann freue ich mich mit Ihnen, wenn alles so eintrifft. Wir treffen uns dann am …wieder.“
Unternehmens- und Führungskultur stärken
Wenn Praxen wachsen, verändert sich oft die Stimmung im Team. Die Etablierung von neuen Abteilungen und Leitungsebenen birgt die Gefahr, dass Teamgeist, Unternehmens- und Führungskultur verloren gehen. Denn nicht jeder Mitarbeitende einer BAG oder eines MVZ hat noch den direkten Kontakt zur Praxisgründerin oder zum Praxisgründer. Der Inhaber-Spirit, die Vision und die Motivation, die in kleinen Einzelpraxen im täglichen Handeln des oder der Vorgesetzten erlebbar werden, sind in medizinischen Großkonstrukten nur schwer transportierbar.
Die Praxisexpansion erfordert deshalb eine strukturierte Herangehensweise und klare Führung – mit Handlungsfreiraum und Vorgaben für Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Führungskräfte. Wenn die Praxisführung klare Orientierung gibt und es versteht, Führungsstil und Kommunikationskultur auf neue Teamleiterinnen und Teamleiter zu übertragen, kann es auch im Wachstum gelingen, das Wir-Gefühl zu konservieren bzw. neu entstehen zu lassen.