Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Pro Minute werden weltweit drei Millionen Masken weggeworfen. Pro Monat sind es 129 Milliarden, schätzt Dr. Joana Correia Prata. Allein der Verbrauch von Einmalmasken durch die Öffentlichkeit, ohne den medizinischen Bereich, könnte laut einer Studie ihrer Forschergruppe im Chemical Engineering Journal zu 3,5 Millionen Tonnen Plastikmüll geführt haben – und das nur im Jahr 2020.

Prof. Steve Fletcher von der University of Portsmouth warnt vor einer Umweltkatastrophe. Ihm zufolge schoss Plastikmüll durch Einwegmasken während der ersten sieben Monate der Pandemie um 91 Prozent in die Höhe. Genaue Zahlen gibt es nicht. Doch kalifornische Forschende schätzten im Journal PNAS im vorletzten Jahr, dass weltweit fast 8,4 Millionen Tonnen Pandemie-Müll produziert wurden, wovon 25.000 Tonnen bis dato in den Weltmeeren trieben.

Mikroplastik kommt zurück

Über kurz oder lang wird dieses Plastik zurück an die Strände gespült, in vollständiger Form oder zerrieben, als kleine und kleinste Fasern. Diese belasten die marine Flora und Fauna und via Fischgerichte möglicherweise auch uns Menschen. Die gute Nachricht: Es gibt Ansätze, um das Problem mindestens einzudämmen.

So hat das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT ein „Closed-Loop-Recycling-Verfahren von Einweg-Gesichtsmasken“ entwickelt, in Kooperation mit den Konzernen SABIC und Procter & Gamble. „Fraunhofer UMSICHT würde die Technologie sehr gerne hochskalieren“, schildert Pressesprecherin Christine Wolf auf Anfrage von ARZT & WIRTSCHAFT. „An unserem Institut ist eine Anlage aufgebaut, die ungefähr 70 Kilogramm pro Stunde umsetzen kann. Unser Ziel ist die Entwicklung solcher Anlagen im größeren Maßstab, wozu es Partner benötigt.“ Derzeit gebe es vor allem eine logistische Herausforderung, da Maskenmüll so dezentral anfällt. Dem könnten zentrale Sammelstellen, analog zu Batteriensammelstellen, entgegenwirken. In Großbritannien stellte die Handelskette Wilko Recyclingboxen auf, in die gebrauchte Einwegmasken eingeworfen wurden. Aus diesen fertigte das Start-up-Unternehmen ReWorked unter anderem Gartenmöbel (jetzt ReFactory, Aktion #ReclaimTheMask). In Deutschland ist man vorsichtig. Bislang wurde Covid-Kunststoff (covid related plastic) hier nicht recycelt, da die etablierten mechanischen Verfahren aufgrund der hohen Hygieneanforderungen nicht geeignet sind. Deswegen enden diese Abfälle hierzulande in Müllverbrennungsanlagen.

Mit UMSICHT könnte sich das ändern, vielleicht sogar für sämtliche Kunststoffabfälle im Medizinsektor. Möglich macht es ein chemisches Recyclingverfahren, das die Polymere der Abfälle in ihre chemischen Grundbausteine zerlegt, Stör- und Schadstoffe entfernt und Basis-Chemikalien gewinnt. „Diese können zu Kunststoffgranulaten in Primärwarequalität weiter verarbeitet werden“, erklärt Christine Wolf. Gesichtsmasken, Einmalanzüge, Spritzen, Blutbeutel, Schläuche, Folien, Verpackungen und Windeln – sie alle bergen das Potential, künftig erneut zu Rohstoffen statt Müll zu werden. Das neue Verfahren neutralisiere auch kontaminiertes Material, schilderte Arbeitsgruppenleiter Dr. Alexander Hofmann im Gespräch mit medica.de: „Wir haben mit der Pyrolyse Masken zu einem Öl umgewandelt. Das heißt, wir haben die Masken bei etwa 650 Grad Celsius ohne Sauerstoff thermochemisch umgewandelt. Dabei entsteht unter anderem Pyrolyse-Öl.“ Dieses Öl kann dann für die Herstellung neuer Kunststoffe verwendet werden.

Droht der Kipppunkt fürs Klima?

Bisher kaum beachtet: Die Herstellung von herkömmlichem Plastik schadet dem Klima. Laut Heinrich-Böll-Stiftung gehen 10 bis 13 Prozent des Kohlendioxids des aktuell verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel auf Kosten der weltweiten Kunststoffproduktion. Sollte darüber hinaus die anschwellende Mikroplastik-Masse biologische Prozesse stören, beispielsweise beim Plankton, so könnte es unter Umständen weniger Kohlendioxid durch Photosynthese binden. Mit den Ozeanen als eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken wäre es dann vorbei.

Belastung durch Handhabung im Alltag?
„Einwegmasken sind nicht dafür gemacht, zusammengeknüllt und in Hosentaschen herumgetragen zu werden“, sagt Prof. Michael Braungart, Vorsitzender des Hamburger Umweltinstituts (HUI). „Die Polypropylenfasern brechen und werden eingeatmet.“ Je unbedarfter der Laie, desto größer das Problem. Zusammen mit dem Start-up „Holy Shit“ hat das HUI eine 100 Prozent biologisch abbaubare und bei 95 °C waschbare Gesichtsmaske mit hoher Filterleistung entwickelt (vivamask.de). Für den Publikumsbereich eine denkbare Alternative. Indes arbeiten Forschende des MIT und der Mayo Clinic bei Teal Bio (tealbio.com) an nachhaltigen persönlichen Schutzausrüstungen für den Medizinbereich.

Autorin: Deborah Weinbuch