MedUni Wien warnt: Plastik im Gehirn
A&W RedaktionBereits zwei Stunden nach ihrer Aufnahme konnten winzige Partikel im Gehirn nachgewiesen werden. Beunruhigend, zumal dieser Kunststoff weit verbreitet ist.Für Lebensmittelverpackungen ist er uneingeschränkt zugelassen. Ein Überblick.
Ein leicht mulmiges Gefühl haben viele Menschen bei Speisen und Getränken aus Plastikverpackungen. Dass dies gerechtfertigt sein könnte, legt nun eine Forschungsarbeit der Medizinischen Universität Wien nahe. So hat das Team um Prof. Lukas Kenner und Dr. Verena Kopatz erstmals im Tiermodell gezeigt, wie Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNP) die Blut-Hirn-Schranke überwinden und somit ins Gehirn gelangen können.
Winzige Polystyrolteilchen wurden bereits zwei Stunden nach der Aufnahme im Gehirn nachgewiesen. Das wirft Fragen auf: Könnten die MNP das Risiko von Entzündungen erhöhen, möglicherweise auch das Risiko neurologischer Störungen oder sogar neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson?
Auch in Plazenta sowie Leber, Lunge, Herz und Nieren von Föten
Mikroplastik ist weit verbreitet, eine Folge der Omnipräsenz von Kunststoffen in unserem täglichen Leben. Weltweit steigt deren Produktion kontinuierlich an – zuletzt auf rund 391 Millionen Tonnen im Jahr 2021, so die Zahlen des Statista Research Departments. Etwa die Hälfte des in Europa produzierten Plastiks dient nach Angaben des österreichischen Umweltbundesamts als Verpackungsmaterial. Gerät weggeworfenes Plastik in die Umwelt, bleibt es aufgrund seiner Stabilität lange dort. Durch Abrieb und Erosion zerfallen Plastikteile jedoch zu immer kleineren Bruchstücken – das sogenannte sekundäre Mikroplastik entsteht (primäres Mikroplastik wird bewusst hergestellt, etwa als Reibkörper in kosmetischen Peelings). Inzwischen finden sich Plastik und Mikroplastik in Mägen und Geweben von Meerestieren, jedoch auch in Böden und Binnengewässern, wie die Heinrich Böll-Stiftung betont.
Auch in der menschlichen Plazenta wurde Mikroplastik bereits nachgewiesen. „Die Mütter waren geschockt“, schilderte Studienleiter Prof. Antonio Ragusa der britischen Tageszeitung The Guardian. Es sieht so aus, als könnten wir dieser Umweltbelastung kaum mehr entgehen. Welche Folgen das für die Entwicklung und die Gesundheit vor allem von Kindern haben könnte, ist unklar. Ragusa warf beispielsweise die Frage auf, ob Mikroplastik Immunreaktionen triggern könnte.
Eine andere Studie der Rutgers University wies darüber hinaus Kunststoff-Nanopartikel, die von schwangeren Laborratten eingeatmet wurden, in Leber, Lunge, Herz, Niere und Gehirn ihrer Föten nach. Die Annahme einer erhöhten Vulnerabilität dieser Nachkommen erscheint plausibel. Dass sich auch oral aufgenommenes Mikro- und Nanoplastik im Körper bewegt, zeigt die aktuelle Arbeit der MedUni Wien. Dass Polysterol-MNP anscheinend auch die Blut-Hirn-Schranke überwindet, sollte ein Weckruf sein. Schutzmaßnahmen für Mensch, Tier und Umwelt werden dringend benötigt, ebenso wie mehr Forschung zu den Konsequenzen der neuen Belastung und den Möglichkeiten, damit umzugehen. Die Forschenden aus Wien identifizierten mithilfe von Computersimulationen einen passiven Transportmechanismus ins Gehirn, der durch Cholesterinmoleküle auf der Membranoberfläche unterstützt wird. Dieses Transportmodell, veröffentlicht im Journal „Nanomaterials“, könnte dazu beitragen, das Verständnis von MNP im Körper zu verbessern.
Exposition eingrenzen, um möglichen Schäden vorzubeugen
Nichtsdestotrotz werden wir als Gesellschaft kaum darum herumkommen, die Exposition einzugrenzen, um mögliche Schäden zu minimieren. Mehr Regulatorien zur Herstellung und Entsorgung von Plastik wären ebenso wünschenswert wie Forschung zu einer essentiellen Frage: Wie werden wir das MNP wieder los?
Träger für Schadstoffe |
Meresstudien zeigen, dass persistente organische Schadstoffe Mikroplastik stark anziehen. Der Schadstoffgehalt der Partikel kann bis zu einer Million Mal höher sein als im umgebenden Wasser. |
Autorin: Deborah Weinbuch