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Praxis

Zu den Unterzeichnern des Appells gehören neben der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) auch die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG).

Letztere informiert auch über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit. So entstand die Online-Vorlesungsreihe „Planetary Health Academy“ in Zusammenarbeit mit Health for Future, einem Aktionsforum für alle Angehörigen aus dem Gesundheitsbereich. In dieser Vorlesungsreihe referieren zurzeit renommierte Klimaexperten, welche praktischen Maßnahmen die menschliche Gesundheit und Gesundheitssysteme schützen.

„Bis vor einem Jahr bestand ein krasses Missverhältnis zwischen der existenziellen Gesundheitsbedrohung durch den Klimawandel einerseits und ihrer weitgehenden Ignorierung im deutschen Gesundheitssektor. Das ändert sich langsam. Es ist existenziell, dass über die Klimakrise als Gesundheitskrise aufgeklärt und konsequent dazu gehandelt wird“, sagt Dr. Martin Herrmann, Vorsitzender und Initiator von KLUG.

An heißen Tagen wird mehr gestorben

Der Klimawandel ist kein exklusives Problem kleiner exotischer Inseln. Tatsächlich zeichnet sich auf der Basis der neuesten klimatologischen Erkenntnisse transdisziplinär ab: Der Klimawandel macht die Schwächsten am kränksten und er wirkt sich schon längst auch in Mitteleuropa aus.

Wie Erhebungen aus Berlin und Frankfurt zeigen, ist das relative Mortalitätsrisiko bei 19 bis 20 °C minimal. Jenseits davon steige es steil an und sei bei 30°C doppelt so hoch, ergänzt Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der Klimaexperte ist auch Mitautor des Gutachtens „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.

Während einer Hitzewelle im Sommer 2010 starben in Moskau 15.000 Menschen, das entsprach einer Abweichung vom historischen Mittel um 5.000 Fälle.

Im Jahr 2018 waren weltweit 220 Millionen verletzliche Menschen zusätzlich extremer Hitze ausgesetzt. 133 Milliarden potenzielle Arbeitsstunden gingen aufgrund der steigenden Temperaturen verloren. „Das waren 45 Milliarden mehr als im Jahr 2000“, stellt Nick Watts fest. Er ist Executive Director des Lancet Countdown Tracking Progress on Health and Climate Change.

Herzinfarkte und Schlaganfälle nehmen zu

„Der Klimawandel wirkt sich umfassend aus“, registriert auch Prof. Claudia Traidl-Hoffmann von der Hochschulambulanz für Umweltmedizin der Universitätsklinik Augsburg. Betroffen seien neben den oberen und unteren Atemwegen, der Haut und der mentalen Gesundheit, auch das Herz-Kreislauf-System.

Dürren, Waldbrände und Überflutungen können zu Stress, Traumata, Angst und Depression führen. Schadstoffe wie Methan, Kohlenstoff, bodennahes Ozon und Schwefelaerosole stehen im Verdacht Alzheimer auszulösen. Das kardiovaskuläre System wird durch längere und intensivere Hitzephase insbesondere bei Älteren und Kindern belastet: Hohe Temperaturen steigern das Risiko für Hypertonie, Hitzewellen und Waldbrände erhöhen zudem den Ozon- und Schadstoffgehalt der Luft, was Herzinfarkte und Schlaganfälle begünstigt.

Eine Augsburger Studie zeigte, dass das relative Risiko für Herzinfarkt mit der Lufttemperatur korreliert. So stieg das Relative Risiko für einen Herzinfarkt von 0,93 in den Jahren 1987 bis 2000 auf 1,14 in den Jahren 2001 bis 2014. Besonders betroffen waren Menschen mit Diabetes oder Hyperlipidämie.

Eine Analyse von knapp 18.000 Schlaganfällen, die zwischen 2006 und 2017 im Süddeutschen Raum eingetreten waren, wies im vergangenen Jahr darauf hin, dass verschiedene Luftmassen die Häufigkeit dieses Risikos verändern könnten. So ging unter dem Einfluss trockener tropischer Luft zwar die Häufigkeit hämorrhagischer Schlaganfälle zurück. Die Häufigkeit ischämischer Schlaganfälle stieg allerdings, makroangiopathisch bedingte Ereignisse nahmen um zwei Drittel zu. Im Gegensatz dazu traten unter dem Einfluss trockener Polarluft deutlich weniger ischämische Schlaganfälle auf.

Negative Umweltfaktoren fördern Asthma und Allergien

Hitzewellen, Dürren und Waldbrände begünstigen aber auch Atemwegserkrankungen wie Asthma und Sinusinfektionen. Invasive Pflanzenarten wie Ambrosia lösen neue Allergien aus. Untersuchungen an Birkenpollen zeigen, dass steigende Temperaturen und CO2-Konzentrationen die Pollensaison verlängern und die Pollenkonzentration erhöhen.

Insgesamt können so allergische Symptome ganzjährig bestehen. Zudem mache die Zunahme der Ambrosia- und Birkenpollen empfindlicher gegenüber viralen Schleimhautinfektionen, so Trail-Hoffmann.

Zoonosen und Pandemien werden wahrscheinlicher

Zu den gesundheitsbeeinflussenden Faktoren gehören auch krankheitsübertragende Vektoren wie die Zecke oder verschiedene Mückenspezies, die Krankheiten wie Dengue-Fieber, Malaria oder die Lyme-Borreliose übertragen. Im Zuge des Klimawandels wandern sie mit den sich verschiebenden Ökosystemen in den globalen Norden. Hierzu stellt Klima-Experte Nick Watts fest: Von zehn Jahren mit klimatisch besten Bedingungen für die Übertragung des Dengue-Fiebers lagen neun im Zeitraum nach 2000.

Darüber hinaus schaffe der anthropogene Einfluss auf das Klima und die Biodiversität „geradezu perfekte Bedingungen dafür, dass Krankheitserreger von der Tierwelt auf den Menschen übergreifen“, warnt auch Prof. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle und Mitglied des IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services). Einfluss nehmen beispielsweise unkontrollierte Abholzung und Ausdehnung der Landwirtschaft, intensive Landnutzung, Ausbeutung und unregulierter Handel mit Wildtieren sowie die enorme Zunahme des weltweiten Flugverkehrs.

Pandemien sieht Settele künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger auftreten. Sie würden sich schneller ausbreiten, größere wirtschaftliche Auswirkungen haben und mehr Menschen töten, wenn jetzt nicht entschieden gehandelt werde.