Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Kurze Antwort vorab: Finger weg von solchen “Erkenntnissen”! Der Nutzen solcher Generationenkonzepte zur Lösung unternehmerischer Fragestellungen ist aus wissenschaftlich-methodischer Hinsicht begrenzt. Dies gilt für alle Branchen, also auch für Arztpraxen.

Die Idee der Einteilung von Menschen in Generationen ist nichts Neues

Auch wenn die Einteilung in Generationen und ihren angeblichen Eigenschaften derzeit einen medialen Hype erlebt: Das Konzept ist nicht neu und basiert auf einem durchaus nachvollziehbaren Gedanken: Bei der Unterscheidung in Generationen geht man davon aus, dass Menschen durch die speziellen Ereignisse der Zeit, in der sie herangewachsen sind, eine gemeinsame Sichtweise auf die Welt, die sozialen Verhältnisse, die Entwicklung der Kultur usw. bekommen und dadurch eine „Generation“ bilden.

Welche Generationen stehen im Fokus?

In der aktuellen Diskussion spielen die folgenden sechs Generationen die Hauptrolle:

  1. Kriegsgeneration: ca. 78 – 93 Jahre (Geburtsjahrgänge 1930-1945)
  2. Babyboomer (1946-1964, 59 – 77 Jahre)
  3. Generation X (1965-1979, 44 – 58 Jahre)
  4. Generation Y (1980-1995, 28 – 43 Jahre)
  5. Generation Z (1996-2010, 13 – 27 Jahre)
  6. Generation Alpha (2011-2025, 0 – 12 Jahre)

Vom wissenschaftlichen Konzept zur Spielwiese der Werbeindustrie

Um den Alltagsnutzen der Generationen einschätzen zu können, ist die historische Entwicklung der Namen interessant. Bis in die 1990er-Jahre wurden Geburtsjahrgänge rückblickend mit Generationsnamen versehen, z.B. Babyboomer, die Generation der geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis ca. 1964.

1993 wurde zum ersten Mal über eine Generation geschrieben und gesprochen, die erst im Entstehen war, die sogenannte Generation Y (Geburtsjahrgänge 1980-1995). Die ältesten Mitglieder dieser Generation waren damals gerade 13 Jahre alt, die Jüngsten noch gar nicht geboren. Vermutlich war es kein Zufall, dass die Generation Y ihr „Entstehen“ der US-Marketingzeitschift „Advertising Age“ verdankt, mit dem Ziel sie für Zwecke des Marketings greifbar zu machen.

Ein ertragreiches Geschäftsmodell für Berater, Marktforscher und Werbeagenturen

Die beschriebene Entwicklung legt die Deutung nahe, dass sich das Generationenkonzept seit Anfang der 1990er-Jahre zu einem Marketinginstrument entwickelt hat, das Werbeagenturen, Marktforschungsinstitute usw. als ertragreiches Geschäftsmodell nutzen. Der praktische Nutzen ist hingegen nicht belegt, im Gegenteil: Die Einteilung von Personen in Generationen ist in der wissenschaftlichen Sozialforschung umstritten.

Aus dem Blickwinkel der Arztpraxen als Arbeitgeber stellt sich zudem die Frage, welche praktischen Handlungsempfehlungen mögliche Generationenmerkmale erlauben. Beispiel: Einer aktuellen Studie zur Generation Z (13- bis 27-jährige) lässt sich entnehmen, dass Mitglieder dieser Generation sich ein hohes Gehalt bei wenig Stress wünschen und eine 4-Tage-Woche für erstrebenswert halten. Über die Schlussfolgerung der Studie kann man unterschiedlicher Meinung sein. Sie lautet: Arztpraxen „müssen sich an die Bedürfnisse der Generation Z anpassen, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.“

Vielleicht doch nützlich für die Personalpolitik von Arztpraxen?

Die Verunsicherung ist groß, viele Arbeitgeber fragen sich tatsächlich, ob und wie sich die angeblichen Eigenschaften und Vorliegen der Generationen im Personalwesen einsetzen lassen. Wie kann man Mitglieder der Generation Z als MFA gewinnen? Mit welcher Ansprache, welcher Jobbeschreibung, welchen Konditionen? Welcher Führungsstil ist der beste für Generation Y im Vergleich zu Generation Z?

Gewinnbringend ist die Einteilung auf jeden Fall, allerdings nicht für Arbeitgeber: Viele Unternehmens- und Personalberater nutzen die Gelegenheit und bieten Bücher, Projekte und Workshops für diese und ähnliche Fragestellungen an.

Voraussetzung für ein Investment in solche Leistungen wären allerdings fundierte Daten über arbeitsplatzrelevante Charakteristika der verschiedenen Generationen. Doch die gibt es nicht. Der Wikipediabeitrag über die Generation Z (Abruf am 2023-04-23) bestätigt: „Über Verhalten und Werte der Angehörigen der Generation Z im Arbeitsleben liegen noch zu wenige empirische Studien vor, die mehr als Momentaufnahmen darstellen.“

Warum sind die Generationen-Konzepte trotz seriöser Kritik in aller Munde?

Für die mediale Präsenz der “Generationen” gibt es dennoch nachvollziehbare Gründe. Das Bilden von Kategorien, das Einteilen von Menschen in Zielgruppen, Generationen usw. verringert die Komplexität der realen Welt, zumindest in der Wahrnehmung des Einzelnen. Generationenkonzepte lassen das „Jugendproblem“ also beherrschbarer erscheinen.

Nachfolgende Generationen werden von Älteren seit jeher als Bedrohung empfunden. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die Finkelhor (2011, S. 15 ff) ausführlich darstellt. Beispiele sind, dass Ältere sich unwohl fühlen, wenn die Jugend neue Technologien vorwärtstreibt, wenn junge Leute Meinungen älterer Generationen in Frage stellen. Durch das Einsortieren von nachfolgenden Generationen in bestimmte Schablonen und Beschreibungen wird für viele das Jugendproblem beherrschbarer. Dazu gehört auch, dass man nachfolgende Generationen immer als „schlechter“ wahrnehmen will, um sich selbst überlegen zu fühlen. Dass viele Generationen-Studien dieses Bedürfnis befriedigen, könnte einer der Erfolgsfaktoren dieses Genres sein.

Zusammenfassung

In seiner ursprünglichen Form – als rückwirkende Beschreibung von Bevölkerungsgruppen – macht das soziologische Generationenkonzept wissenschaftlich Sinn. Ob die heute – meistens zu prognostischen Zwecken – kreierten Generationenkonzepte fundiert sind und praktische Relevanz besitzen, ist sehr umstritten. Insofern ist ihr Wert für unternehmerische Entscheidungen, z.B. in der Personalpolitik von Arztpraxen oder für das Marketing von Produkten und Dienstleistungen, kritisch zu betrachten.

*Der Autor: Dr. rer. oec. Gundolf Meyer-Hentschel ist Inhaber von Meyer-Hentschel Online World. Der erfahrene Unternehmens- und Praxisberater ist Autor/ Hrsg. von 9 Büchern. 2020 wurde er aufgrund seiner fundierten Expertise in Marquis „Who’s Who in the World“ aufgenommen. Weitere Informationen unter: https://mho.world

Literatur: https://agesuit.com/generation-x-y-z-alpha-babyboomer-millenials/#literatur