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Praxis
Logo UND IN ZUKUNFT Klimaschutz & Nachhaltigkeit

Grafik: iStock/Ratsanai

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems wird gesetzlich vorangetrieben, doch der Klimaschutz spielt dabei bisher eine nachgeordnete Rolle. Das erstaunt, denn Prof. Karl Lauterbach hatte in einem Tweet bereits im Juli 2020 klar formuliert: „Der Klimawandel ist die zentrale Bedrohung der menschlichen Zivilisation.“ Nun gilt es, als Bundesgesundheitsminister entsprechend zu handeln. Der CO₂-Fußabdruck der Digitalisierung darf kein blinder Fleck der Gesundheitspolitik sein.

Die immaterielle Anmutung des Internets und seiner Anwendungen ist tückisch. Sie erweckt den Anschein, als gäbe es das Ganze „nicht wirklich“. Das Gegenteil ist der Fall. Bits und Bytes werden verarbeitet und gespeichert. Dadurch entsteht ein immenses Datenvolumen. Je mehr Daten anfallen, desto größere Rechenzentren und umso mehr Energie werden benötigt.

Klimaneutrale Rechenzentren
16 Milliarden Kilowattstunden verbrauchten deutsche Rechenzentren im Jahr 2020 laut dem Branchenverband Bitkom. Somit verbrauchte der Datenverkehr hierzulande mehr Strom als die gesamte Stadt Berlin im selben Zeitraum.
Die Ampelkoalition möchte, dass Rechenzentren bis 2027 klimaneutral werden. Genaue Kriterien hierfür müssen allerdings noch erarbeitet werden. Voraussetzung ist zudem, dass genügend regenerative Energie zur Verfügung steht.

Derzeit verursacht die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche (IKT-Branche) Schätzungen zufolge zwischen zwei und vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Ein Anheizer fürs Klima, der weiter anzuschwellen droht. Eine Studie des Branchenverbands Bitkom hält einen durchschnittlichen digitalen Bedarfszuwachs von circa 3,5 bis 5 Prozent pro Jahr für möglich. Im Jahr 2030 lägen wir somit bei 23 bis 29 Milliarden Kilowattstunden.

Kein Überblick bei der gematik

Tech-Unternehmen wie Apple, Facebook und Google setzen seit Jahren auf Ökostrom für ihre Rechenzentren. Die gematik hingegen, Umsetzerin der Telematikinfrastruktur (TI), konnte hierzu auf Anfrage von ARZT & WIRTSCHAFT keine Antwort geben. Weder zum Energieverbrauch der Rechenzentren noch zur Art der verwendeten Energie lägen Daten vor. Auch die Frage, wie die flächendeckende Einführung von eRezept und elektronischer Patientenakte (ePA) den Energieverbrauch steigern könnte, kann die gematik nicht beantworten. Doch sollte die gematik als Nationale Agentur für Digitale Medizin nicht Daten erheben oder zumindest Schätzwerte zum Energieverbrauch haben?

Verbrauch der TI unbekannt

Ein solch ökologisch unbedarftes Hi­neinstolpern in die Digitalisierung ist aus Sicht von Dr. Max Bürck-Gemassmer, Vorstandsmitglied der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG), bedauerlich. „Nicht nur bezüglich Nachhaltigkeit und Klimaschutz gibt es bei der Implementierung einer digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen kaum Überlegungen – oder wir kennen diese nicht“, sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin. „Auch der gesamte Ressourcenverbrauch scheint nicht reflektiert zu werden.“ Exemplarisch nennt er den Konnektorenaustausch oder die Einführung der elektronischen AU. „In der jetzigen Form führt diese in den Praxen zu erhöhtem Zeitaufwand, erhöhtem Papieraufwand und erhöhtem Energieverbrauch, also insgesamt zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch.“

Die Digitalisierung wird als Vehikel hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft gepriesen. Energieeffizienz sollte das Leitmotiv bei der Umsetzung des E-Health-Gesetzes sein, das ergibt sich aus den Forderungen des 125. Ärztetages ebenso wie aus denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, dass ihre Daten möglichst klimaneutral verarbeitet und gespeichert werden. Denn Klimaschutz und Gesundheitsschutz gehören zusammen. Die Bundesärztekammer will bis 2030 klimaneutral werden. Dazu braucht sie aber auch eine klimaneutrale Telematikinfrastruktur.

Erste Ansätze sind da, nun gilt es, da­rauf zuzugreifen. So will beispielsweise das Netzwerk energieeffiziente Rechenzentren „Deutschland als Standort der energieeffizientesten und sichersten Rechenzentren weltweit etablieren“. Die Abwärme von Rechenzentren könnte viel häufiger als bisher nachhaltig genutzt werden, etwa zum Heizen von Privatwohnungen, Geschäftsräumen und Schwimmbädern. Natürlich sollten die Server der Rechenzentren auch möglichst effizient arbeiten. Letzteres gilt auch für die Software in Arztpraxen. Ein wichtiger Ansatz der „green IT“ ist schlank und modular programmierte Software, die eine lange Nutzungsdauer der Hardware ermöglicht. Diese drei Säulen, also energieeffiziente Rechenzentren, effiziente Software und eine langlebige Hardware samt Kreislaufwirtschaft, sollten tragende Säulen der Digitalisierung des Gesundheitssystems sein.

“It’s not easy being green”

Ein Editorial im Journal „The Lancet Digital Health 2021“ titelte: “It’s not easy being green” – „Es ist nicht einfach, grün zu sein“. Die Treibhausgasemissionen des Informations- und Kommunikationstechnologiesektors seien substanziell, vom Abbau der Rohstoffe bis hin zur Entsorgung des Elektroschrotts. Auch die künstliche Intelligenz (KI) darf laut „Lancet Digital Health“ nicht außer Acht gelassen werden. Die positiven Potenziale der KI im klinischen Alltag sind groß. Doch für den Umgang mit den gigantischen Datenmengen, die für das Training der KI benötigt werden, für die zunehmende Rechenleistung, die wachsende Datenspeicherung und den steigenden Energiebedarf müssen verbindliche Lösungen geschaffen werden. „Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen“, warnt auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). „Daher ist es eine vordringliche politische Aufgabe, Bedingungen dafür zu schaffen, die Digitalisierung in den Dienst nachhaltiger Entwicklung zu stellen.“

CO2-Fußabdruck in der Praxis

Große Lösungen kommen trotz ihrer Dringlichkeit oftmals träge voran. Ärztinnen und Ärzte können jedoch selbst aktiv werden, um zumindest lokal den digitalen CO2-Fußabdruck einzudämmen. Die Hardware, wie PCs und Notebooks, sollte dem tatsächlichen Bedarf entsprechen. Eine Überdimensionierung ist zu vermeiden. So ziehen auch energieeffiziente Monitore viel Strom, wenn sie groß sind. Zu den hungrigsten Energiefressern im Computer gehört die Grafikkarte. Wer Büroarbeiten erledigt, braucht nicht dieselbe Grafikkarte wie ein Gamer! Die Bedarfsanalyse eines IT-Dienstleisters ist der erste Schritt hin zu einer energieoptimierten EDV.

Grundsätzlich sollte Hardware möglichst langlebig sein. Oft werden jedoch Computer ausgetauscht, obwohl sie noch in Ordnung wären. Das liegt häufig daran, dass eine Software aufgrund von Weiterentwicklungen nicht mehr auf dem Gerät läuft. Obwohl es intakt ist, wird es dann entsorgt. Neue, ressourcenintensiv hergestellte Hardware wird angeschafft. Das Wort für eine ökologisch derart unbedachte Herstellung lautet „Obsoleszenz“.

Wie groß ist der Fußabdruck meiner Praxis?
Einen ersten Überblick können Sie sich online verschaffen. Diplom-Ingenieur Jens Gröger vom Öko-Institut e. V. in Berlin forscht im Bereich nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik. Er empfiehlt den Rechner www.digitalcarbonfootprint.eu/. Ziehen Sie in der App einfach die Zahl der vorhandenen Geräte in das Rechenfeld. Die jährlichen dazugehörigen CO2-Emissionen werden sogleich angezeigt.

Neue Software, weniger ökologisch

Ein Beispiel ist das Windows-Betriebssystem. Laut der Fachkonferenz „Bits und Bäume“ benötigt Windows 10 gegenüber Windows 95 40-mal so viel Prozessorleistung, 250-mal so viel Arbeitsspeicherkapazität und 320-mal so viel Festplattenkapazität. Wer von Windows 10 auf 11 umstellt, braucht statt 16 GB auf der Festplatte plötzlich 64 GB. Statt 1 GB Arbeitsspeicher werden mindestens 4 GB RAM benötigt.

Obsoleszenz ist offensichtlich nicht nachhaltig. Und doch ist sie ein Kernelement der aktuellen digitalen Entwicklung. Programmierende bauen oftmals ein Sammelsurium an Funktionen in die Software ein, obwohl diese nur von einem kleinen Teil der Anwendenden genutzt werden. Die Lösung ist beinahe banal: Software sollte konsequent abwärtskompatibel programmiert und modular aufgebaut werden. Nutzende sollten unkompliziert selbst entscheiden können, welche Funktionalitäten sie benötigen und auch nur diese kaufen müssen.

Momentan gibt es nur eine Software, die mit dem Umweltsiegel „Blauer Engel“ ausgezeichnet wurde: den Dokumentenbetrachter Okular, eine Open-Source-Software. Gerade im Gesundheitswesen sollten Entwicklerinnen und Entwickler die Kriterien des Blauen Engels zur Orientierung nutzen, um unnötige Umweltbelastungen zu vermeiden.

„Der Megatrend Digitalisierung ist auf allen Ebenen wirksam und die damit verbundene Möglichkeit der Prozessbeschleunigung kann eine große Chance sein – auch für den Klimaschutz“, sagt Dr. Max Bürck-Gemassmer von der KLUG. „Bisher scheint dieser Megatrend aber eher zu einem beschleunigten Ressourcenverbrauch geführt zu haben, mit verstärkter Überschreitung planetarer Grenzen und verstärkter Klimaerwärmung.“
Die Lage ist klar. Technologie kann eine wunderbare Verbündete sein, aber nur, wenn wir uns ihren Herausforderungen bewusst stellen, diese transparent durchrechnen und gemeinsam Lösungen schaffen.

Sofort weniger CO2 …:

… bei der Nutzung

  • Ökostrom beziehen
  • Mailanbieter mit Ökostrom wählen, z.B. Posteo
  • Postfach aufräumen und Mails löschen, Spamordner und Papierkorb regelmäßig leeren
  • Unnütze Newsletter kündigen
  • Beim Streaming von Videos oder bei Videokonferenzen
    die niedrigste vertretbare Bildauflösung wählen
  • Mehr auf externen Festplatten speichern, weniger in der Cloud
  • Webadressen direkt eingeben, anstatt über eine Suchmaschine zu gehen
  • Adblocker nutzen
  • Datenhungrige Browser durch sparsame Browser wie Brave ersetzen
  • Grünes Webhosting für die Website wählen, z.B. BioHost oder GreenSta
  • Voreinstellungen von PC und Laptop zum Bereitschaftsbetrieb (Stand-by) möglichst kurz setzen.
  • Moderne Bildschirme brauchen keinen Bildschirmschoner!
  • Bildschirmhelligkeit verringern
  • Doppelte Software und überflüssige Daten regelmäßig löschen
  • Ladegeräte aus der Steckdose ziehen, wenn sie nicht verwendet werden
  • Router oder zumindest WLAN nachts ausschalten
  • Endgeräte nachts ganz ausschalten

… bei der Ausstattung

  • Reparable Geräte bevorzugen bzw. solche, bei denen einzelne Komponenten unkompliziert aufgerüstet werden können
  • Bildschirmdiagonalen nach Bedarf wählen, nicht, um zu beeindrucken
  • Faires Zubehör nutzen, z.B. Maus von Nager IT, USB-Kabel von Syllucid oder recable
  • Fairphone oder Shiftphone („die deutsche Alternative“)
  • Auf Umweltsiegel wie den „Blauen Engel“ oder das EU-Ecolabel „Blume“ achten

Deborah Weinbuch