Ärzte an der Belastungsgrenze
Judith MeisterDie Stimmung unter Deutschlands Ärzten ist angespannt. Mehr als die Hälfte hat in den letzten zwei Jahren sogar ans Aufhören gedacht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung.
Der Ausnahmezustand im Gesundheitswesen ist inzwischen das neue Normal. Zu altbekannten Problemen wie der hohen Arbeitsbelastung, zeitraubenden Verwaltungsaufgaben und dem nicht enden wollenden Ärger mit der Telematik-infrastruktur (TI) kommen nun auch noch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die steigenden Energiekosten sowie der immer deutlicher spürbare Fachkräftemangel.
Diese Kumulierung existenzieller Probleme schlägt Ärztinnen und Ärzten zunehmend aufs Gemüt. Das belegt eine aktuelle Online-Umfrage des Internetportals Medizinio.
Verwaltungsaufwand zu hoch
Der größte Frustfaktor im Arbeitsalltag hat allerdings nichts mit aktuellen Krisen zu tun, sondern geht auf ein (leider) seit Langem bekanntes Phänomen zurück: den deutschen Hang zur ausufernden Bürokratie. Für 86 % der Befragten Berufsträger sind überbordende Verwaltungsaufgaben in Praxis und Klinik ein Ärgernis. Damit steht die Bürokratie einmal mehr mit weitem Abstand auf einem traurigen ersten Platz der Kritikpunkte.
Probleme bei Digitalisierung und TI
Doch auch die schleppende und schlecht organisierte Digitalisierungsoffensive macht Ärztinnen und Ärzten zu schaffen. Elektronische Angebote wie eRezept, eAU und eHBA verursachen für 68 % zusätzliche Probleme. Auf den dritten Platz der Negativliste schaffen es – wie schon so oft – die Probleme mit der Telematikinfrastruktur. Unter ihnen leidet immerhin die Hälfte der Befragten. Ein Umfrageteilnehmer beschreibt die Probleme so: „Tägliche Abstürze, nichtfunktionierende Technik; Lesegeräte, die abstürzen; Software, die doppelt so lange braucht wie früher. Das kostet Geld, Nerven und verursacht pro Tag etwa 1,5 Stunden Mehrarbeit.“
Dicht gefolgt wird die TI als Frustfaktor von der Praxisverwaltungssoftware und dem Fachkräftemangel. Beides macht den Praxisalltag erheblich komplexer und stellt eine enorme Belastung für das gesamte Team dar. Ein weit verbreitetes Phänomen ist es zum Beispiel, dass mindestens eine der (wenigen) MFA den Großteil ihres Arbeitstages am Telefon verbringt, um den konstanten Strom an Patientenfragen abzuarbeiten. Dadurch kommen fast zwangsläufig andere wichtige Aufgabenbereiche zu kurz. Die Folge sind Frust und/oder Überstunden.
Segen und Fluch der Digitalisierung
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Mögen viele Praxen auch mit der TI und einzelnen digitalen Anwendungen kämpfen – an anderer Stelle bieten die neuen Technologien eine wertvolle Entlastung. Aus gutem Grund bieten zum Beispiel immer mehr Praxen ihren Patienten die Möglichkeit der Online-Terminbuchung an, um das Team am Hörer zu entlasten. Denkbar ist es zudem, die Telefonarbeit auf einen externen Anbieter auszulagern. In diesem Fall sind allerdings strenge Datenschutzvorgaben zu beachten.
Überlegenswert ist auch die Inanspruchnahme externer Abrechnungsstellen. Sie sind zwar nicht ganz billig, sorgen aber für planbare Geldeingänge und entlasten das Praxispersonal zusätzlich.