Wird Prostatakrebs in Europa überdiagnostiziert?
Constanze PolenzAus den USA ist bekannt, dass ein opportunistischer Anstieg der Nutzung von PSA-Tests zu einer höheren Inzidenz von Prostatakrebsdiagnosen geführt hat. Eine neue Studie hat diese Zusammenhänge in Europa untersucht.
Das Prostatakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung bei Männern. In Deutschland lag die Inzidenz 2020 bei 65.820 Neuerkrankungen. Daran gestorben sind im selben Jahr 15.403 Männer. Die Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts zeigen, dass die altersstandardisierten Inzidenzraten zu Beginn der 2000er Jahre stärker angestiegen, 2011 wieder etwas zurückgegangen und seitdem relativ konstant geblieben sind. Dagegen sind die altersstandardisierten Sterberaten seit 1999 relativ gleich geblieben. „Eine ähnliche Entwicklung ist in vielen anderen westlichen Industrienationen zu beobachten und dürfte auf eine lange Zeit steigende, zuletzt aber wohl eher zurückgehende Nutzung des PSA-Tests (prostataspezifisches Antigen) als Früherkennungsuntersuchung zurückzuführen sein“, schreibt das Robert Koch-Institut.
Studie analysiert Krebsregisterdaten aus 26 europäischen Ländern
Das Fachmagazin „British Medical Journal“ hat vor kurzem eine bevölkerungsbasierte Studie veröffentlicht, die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist. Dabei hat ein internationales Forscherteam um Salvatore Vaccarella von der „Internationalen Agentur für Krebsforschung“ in Lyon Krebsregisterdaten aus 26 europäischen Ländern ausgewertet. Die Inzidenzdaten, aus den Jahren 1980–2017, stammten von der Internationalen Agentur für Krebsforschung und dem Global Cancer Observatory. Die Mortalitätsdaten, aus den Jahren 1980–2020, erhielten die Wissenschaftler von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Alter der einbezogenen Männer lag zwischen 35 und 84 Jahren. Daneben suchten die Forscher nach Studien, in denen sich Trends zur Nutzung von PSA-Tests in diesen Jahren ableiten ließen. Sie fanden solche Informationen für zwölf europäische Länder.
Anstieg der Inzidenzen bei sinkender oder konstanter Mortalität durch Prostatakrebs
Zu diesen Ergebnissen kam die Studie:
Es stellte sich heraus, dass im untersuchten Zeitraum die Prostatakrebs-Inzidenz in fast allen Ländern ab den 1990er Jahren angestiegen war.
Besonders sprunghaft war dieser Anstieg in Litauen, Frankreich, Nordeuropa und den anderen baltischen Ländern. In manchen dieser Länder gingen die Inzidenzen um 2010 herum wieder zurück.
So, wie die Inzidenzen schwankten, schwankte auch die nationale Nutzung von PSA-Tests.
In einigen Ländern waren die Inzidenzen deutlich niedriger als in anderen und der Anstieg vollzog sich kontinuierlich statt sprunghaft – zum Beispiel in Schottland, in der Slowakei, Belarus und der Ukraine.
Der Gipfel der altersspezifischen Inzidenzkurven hat sich über die Jahre zu einem jüngeren Alter hin verschoben.
Interessanterweise sanken die Mortalitätsraten während des untersuchten Zeitraums in vielen Ländern ein wenig oder blieben auf einem konstanten Niveau.
PSA-Tests könnten zu Überdiagnosen führen
„Die in unserer Studie beobachteten epidemiologischen Merkmale, insbesondere der schnelle, inkonsistente Anstieg der Inzidenz, jedoch nicht der Mortalität, und die fortschreitende Veränderung der altersspezifischen Inzidenzkurven, lassen sich nur schwer mit anderen Faktoren als PSA-Tests erklären“, schlussfolgern die Studienautoren. Die Ergebnisse könnten auf Überdiagnosen hindeuten und zu Überbehandlungen führen. „Eine sorgfältige Überwachung und Bewertung der Vorteile und Schäden, einschließlich der Überdiagnose, wird für die mögliche Umsetzung der Leitlinien und die voraussichtliche Einführung eines bevölkerungsweiten Prostatakrebs-Screenings von entscheidender Bedeutung sein. “
Quelle:https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Prostatakrebs/prostatakrebs_node.html