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Pädiatrie

Wie der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm mitteilt, hat man auf Basis dieser Annahme jetzt die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Bielefeld bestätigt, bei der die Schadensersatzklage eines Elternpaars aus Bad Oeynhausen erfolglos geblieben ist. Sie hatten ein Krankenhaus auf 500.000 Euro Schmerzensgeld verklagt, nachdem ihr Kind dort im Alter von 2 ½ Jahren verstorben war.

Beim Aufklärungsgespräch war nur die Mutter anwesend

Das im November 2008 in der 32. Schwangerschaftswoche mit multiplen Krankheitssymptomen geborene Mädchen wurde nach der Geburt zunächst im Herzzentrum Bad Oeynhausen betreut. Im Januar 2009 erfolgte ihre Verlegung auf die kinderchirurgische Klinik des beklagten Krankenhauses zur diagnostischen operativen Biopsie mit dem Zweck des Ausschlusses eines Morbus Hirschsprung. Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch war nur die Mutter anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein unterzeichnete.

Im Rahmen der kurz darauf durchgeführten Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Intubation und Beatmung des Kindes, sodass letztlich vom operativen Eingriff abgesehen wurde. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es im Juli 2011 verstarb.

Vorwurf schwerer Behandlungsfehler

Die Eltern klagten auf Schadenersatz und warfen den Ärzten schwere Behandlungsfehler vor, durch die ihre Tochter (infolge von Sauerstoffunterversorgung) schwerste Schäden am Gehirn und weiteren Organen erlitten habe. Diese Vorwürfe konnten im erstinstanzlichen Verfahren allerdings nicht bestätigt werden.

Im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm machten die Eltern zusätzlich geltend, vor dem Eingriff der Beklagten nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein. Zudem habe der Vater gar keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei.

Vater habe gar keine Einwilligung erteilt

Die Schadensersatzklage blieb trotzdem auch in der Berufungsinstanz erfolglos. Der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm konnte keinen Aufklärungsfehler feststellen. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme habe ergeben, so der Senat, dass die Klägerin vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behandlungsrisiken aufgeklärt worden sei. Da es keine Behandlungsalternativen gegeben habe, habe über solche auch nicht aufgeklärt werden müssen.

Die Einwilligung der Kläger in die Behandlung sei auch nicht unwirksam gewesen, weil nur die Mutter am Aufklärungsgespräch teilgenommen und den Aufklärungsbogen unterzeichnet habe. Grundsätzlich müssten zwar beide sorgeberechtigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Erscheine nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, dürfe dieser allerdings in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt habe.

Bei Routinefällen darf Arzt von der Einwilligung des anderen Elternteils ausgehen

So dürfe der Arzt bei Routinefällen (Ausnahmefall 1) grundsätzlich davon ausgehen, dass der mit dem Kind erscheinende Elternteil die Einwilligung des anderen in die ärztliche Behandlung mit erteilen dürfe. Bei ärztlichen Eingriffen schwerer Art, mit nicht unbedeutenden Risiken (Ausnahmefall 2), müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen habe und auch nachfragen, wie weit diese reiche.

Dabei dürfe er allerdings davon ausgehen, vom erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten. Beim Ausnahmefall 3 geht es um schwierige und weitreichende Entscheidungen, etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden ist. In diesem Fall müsse sich der behandelnde Arzt vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden sei.

Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie war laut Gericht in die Kategorie des Ausnahmefalls 2 einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der Arzt bei der Mutter nach der Einwilligung des Vaters erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Klägerin auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen.

Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29.09.2015 (26 U 1/15), nicht rechtskräftig (BGH VI ZR 622/15).