Digital-Gesetz: Lauterbachs Pläne bleiben nicht unkommentiert
Johannes T. KayserDer Referentenentwurf des Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz DigiG) von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach wurde am 13.07.2023 in die Verbändeanhörung übergeben. Reaktionen von Fachverbänden ließen nicht lange auf sich warten.
Was ist das Digital-Gesetz?
Grundsätzlich betrifft das Digital-Gesetz vor allem Änderungen bei der elektronischen Patientenakte (ePA), dem eRezept, Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und die Aufhebung der Begrenzung bei Videosprechstunden.
Die zentralen Änderungen
Einer der zentralen Punkte ist die Änderung des Einwilligungsvorbehalts bei der ePA. So soll künftig der Patient nicht mehr selbst einwilligen (Opt-in), sondern nutzt grundsätzlich die ePA und muss der Nutzung aktiv widersprechen (Opt-out). Neben einem elektronischen Medikationsplan (eMP), der elektronischen Patientenkurzakte mit Notfalldaten und persönlichen Patientenerklärungen (ePKA) sollen Labordatenbefunde implementiert werden. Beim eRezept sollen Ärzte künftig nachweisen, dass sie technisch in der Lage sind, solche auszustellen – anderenfalls droht eine pauschale einprozentige Honorarkürzung.
AOK: ePA als Mehrwert für Patienten und Ärzte
Von den Seiten der AOK wird der Referentenentwurf grundsätzlich positiv aufgefasst. So sei aus Sicht der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbands Dr. Carola Reimann das DigiG für die ePA wie ein Katalysator. Insbesondere sei der Wechsel vom Opt-in zum Opt-out-Verfahren und die vereinfachte Authentifizierung für die ePA begrüßenswert. Auch bringe die elektronische Patientenkurzakte mit dem Medikationsplan einen echten Mehrwert für die Patienten.
Besserer Zugang zur ePA für Patienten
Jedoch fordert der AOK-Bundesverband, den Zugang der Patienten zur ePA zu erleichtern. So plädiert er, die Verbindung von elektronischer Gesundheitskarte und PIN durch den neuen elektronischen Personalausweis zu ersetzen.
Keine Befüllung der ePA durch Krankenkassen
Zudem stellte die Vorsitzende klar, dass die ePA nicht durch die Krankenkassen, sondern durch die Ärzte und Patienten befüllt werden müsse.
Restriktiver Leistungsanspruch bei DiGA mit höheren Risikoklassen
Die Ausweitung des Leistungsanspruchs von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen lehnt der AOK-Bundesverband hingegen ab. So seien eine vorherige Nutzenbewertung und wissenschaftliche Nachweise notwendig, um die Patientensicherheit zu gewährleisten.
Keine unbefristeter Innovationsfond
Ebenso wird die unbefristete Fortsetzung des Innovationsfonds, der aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird, abgelehnt. Aus Sicht des AOK-Bundesverbands sei eine unbegrenzte Übertragbarkeit der Fördermittel unvertretbar. Zudem zweifelt er an der Effektivität und Effizienz des Fonds.
Verband der Ersatzkassen: mehr und bessere Digitalisierung
Auch der vdek sieht die flächendeckende Einführung der ePA mittels Opt-Out-Verfahren positiv, welches zu einer verbesserten Versorgungsqualität führe. Weiter fordert der vdek strengere Anforderungen und Fristen an die Hersteller der Praxisverwaltungsprogramme, um die Benutzerfreundlichkeit der ePA zu erhöhen. Die Erweiterung der DiGA auf höhere Risikoklassen wird ebenso kritisch gesehen. Begrüßt wird hingegen die Ausweitung telemedizinischer Leistungen, auch bei psychotherapeutischen Sitzungen. Wie bereits die AOK lehnt auch der vdek die Fortführung des Innovationsfonds mit einer jährlichen Fördersumme von 200 Millionen Euro aufgrund der angespannten Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenkassen ab.
KZBV und KBV: bessere Anwendertauglichkeit und keine Sanktionen
Ärzteverbände wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) sehen dagegen den Referentenentwurf kritisch. So sei nach Ansicht der KZBV die Sanktions- und Fristenpolitik, wie beim eRezept, der falsche Weg und wirke gar kontraproduktiv. Es fehle dem Bundesgesundheitsministerium jedes Augenmaß, wie zielführend und berechtigt die Interessen der Anwender seien.
Keine fachfremden Aufgaben an die Ärzteschaft delegieren
Zudem kritisiert die KZBV, dass technische und verwaltungsspezifische Aufgaben der Krankenkassen, wie beispielsweise die Identifizierung der Versicherten, auf die Praxen abgewälzt würden, was zu einem weiteren hohen Bürokratieaufwand führe. Vielmehr seien die Zahnärzte in den Blick zu nehmen, um digitale Innovationen zeitlich und organisatorisch umsetzbar zu gestalten. Positiv wird hingegen die Befreiung der Zahnärzte von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Schnittstellen zum elektronischen Melde- und Informationssystem (DEMIS) bewertet.
Keine Sanktionen
Hinsichtlich des eRezepts fordert die KZBV neben der Abkehr von drohenden Honorarkürzungen bei verspäteter Umsetzung auch eine Rückkehr zur gestuften Einführung mit genug Vorlaufzeit, um eine Betriebsstabilität sicherzustellen. Die Interoperabilität von Gesundheitsdaten wird als sinnvoll erachtet, solange sie einer verbesserten Patientenversorgung dient. Die KZBV lehnt jedoch sanktionierte Verpflichtungen zur kostenfreien Herausgabe von Gesundheitsdaten in einem interoperablen Format ab.
Mehr Vorgaben für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme
Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), schließt sich inhaltlich weitgehend der Stellungnahme der KZBV an. Auch sie fordert praxistaugliche Anwendungen und kritisiert drohende Sanktionen oder Bußgelder. Außerdem fehle es an klaren Vorgaben für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme und ausreichende Tests vor dem Regelbetrieb der digitalen Anwendungen.
BDP: Daten zu psychischen Erkrankungen sind besonders zu schützen
Mit dem DigiG-Entwurf sollen Gesundheitsdaten, auch besonders sensible wie psychische Erkrankungen, automatisch in der ePA gespeichert und zu Forschungszwecken genutzt werden, es sei denn Patienten widersprechen aktiv. Psychotherapeuten und Ärzte sollen verpflichtet werden, auf das Widerspruchsrecht hinzuweisen und die Möglichkeit zur Datenlöschung sowie differenzierte Zugriffsberechtigungen anzubieten.
Kein Opt-out bei psychischen Erkrankungen
Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) fordert jedoch nachdrücklich die Beibehaltung der Opt In-Regelung für die Speicherung von Gesundheitsdaten, insbesondere bei Daten zu psychischen Erkrankungen, um die Datensouveränität der Patienten zu wahren.
Keine unbegrenzten Videobehandlungen: persönlicher Kontakt weiterhin Goldstandard
Des Weiteren soll die bisherige Begrenzung für die Abrechnung von Videobehandlungen gegenüber den Gesetzlichen Krankenversicherungen auf 30 Prozent des Praxisumfangs aufgehoben werden. Hintergrund seien wohl Versorgungslücken in strukturschwachen Regionen. Dennoch lehnt der BDP die Lockerung ab, da der persönliche Kontakt in psychotherapeutischen Behandlungen weiter essenziell sei.
Deutsche Aidshilfe: Selbstbestimmter Umgang mit Gesundheitsdaten
Ähnlich kritisch äußert sich die Deutsche Aidshilfe und betont die Bedeutung einer selbstbestimmten Handhabung sensibler Gesundheitsdaten bei der ePA. Zwar sei begrüßenswert, dass der Entwurf Gesundheitsdaten zu HIV-Infektionen, psychischen Erkrankungen und Schwangerschaftsabbrüchen als besonders sensibel ansieht. Jedoch bedarf es einer ausführlicheren Aufzählung anderer sensibler Informationen wie Substitutionsmedikationen oder anderer sexuell übertragbarer Infektionen.
Vollständige Selbstbestimmung über eigene Gesundheitsdaten
So sei entscheidend, dass sich die Selbstbestimmung nicht nur auf ausgewählte, sondern auf sämtliche Gesundheitsdaten beziehen muss. Der Patient solle volle Transparenz und Kontrolle über sichtbare Daten haben, was auch das Teilen der Daten mit Ärzten oder Forschungseinrichtungen, die Zugriffsverwaltung oder das Löschen betrifft.
Medikationsplan als „undichte Stelle“
Der Medikationsplan, der automatisch aus eRezepten generiert wird, werfe Bedenken hinsichtlich sensibler Informationen auf. Zwar kann man der Erstellung eines Medikamentenplans widersprechen. Nimmt man aber daran teil, verbleiben dem Patienten keine Einstellungsmöglichkeiten. Zwar sei es nachvollziehbar, dass ein Medikationsplan vollständig sein solle, um Wechselwirkungen zu verhindern. Jedoch könne so eine Verschattung in der ePA nutzlos sein, wenn sensible Informationen aus dem Medikationsplan abgeleitet werden können. So ließe sich von HIV- und Substitutionsmedikamenten oder Psychopharmaka auf entsprechende Diagnosen schließen.
Kein Zugriff von Betriebsärzten auf die ePA
Auch wenn nach dem Entwurf Betriebsärzte nur nach Zustimmung Zugriff auf die ePA bekommen sollen, lehnt das die Deutsche Aidshilfe ab. So könnten auch beim Opt-in-Verfahren Patienten unter Druck gesetzt werden oder Benachteiligungen im Arbeitsleben erfahren.
Mehr Patientenbeteiligung und unabhängige Beratung
Die Aidshilfe fordert zudem eine umfassende Patientenbeteiligung und unabhängige Beratung bei der Entwicklung und Umsetzung der ePA. So sollen Patientenvertreter im Digitalbeirat vertreten sein und unabhängige Beratungsstellen bei der Unterstützung von Menschen mit geringen digitalen Kompetenzen angemessen vergütet werden.
Fazit: der Patient im Mittelpunkt?
Die Stellungnahmen sind wenig überraschend und zeigen die „natürlichen Interessen“ der jeweiligen Verbände. So haben die Krankenkassen und die Industrie ein großes Interesse an mehr Daten – Patientenorganisationen und Ärzteverbände sind da schon deutlich zurückhaltender. Grundsätzlich lässt sich eine generelle Offenheit für mehr Digitalisierung beobachten, sodass nicht das „ob“ sondern das „wie“ umstritten ist. Aus den Augen der Ärzteschaft muss die Digitalisierung des Gesundheitswesens in erster Linie dem Patienten dienen – was auch den Schutz sensibler Informationen umfasst – und für die Leistungserbringer umsetzbar sein.
Den Referentenentwurf für das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit.