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E-Health

Auch wenn sie momentan dank positiver Meldungen zum hoffentlich baldigen Impfbeginn etwas in den Hintergrund gerückt sind – die Diskussionen um die Corona-Warn-App reißen nicht ab. Sie sind ein Beispiel für ein Dilemma, das fast immer mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen einhergeht. „Wir haben Angst, was mit unseren Daten passiert, gleichzeitig müssen wir Informationen über die Krankheit eines Patienten teilen“, erklärt Prof. Dr. Christian Thies von der Hochschule Reutlingen. Der Medizininformatiker beschäftigt sich tagtäglich in seiner Forschung mit diesem Spannungsfeld – zwischen dem Wunsch nach Datenschutz auf der einen und der Notwendigkeit, Wissen über Patienten digital zu kommunizieren, auf der anderen Seite.

Forschungsprojekt „TeleDerm“

In seinem erst kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt „TeleDerm“ hat Thies bewiesen, dass digitale Innovationen im deutschen Gesundheitssystem durchaus möglich sind. Gemeinsam mit dem Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen und der AOK Baden-Württemberg hat er ein System zur digitalen Kommunikation zwischen Hausärzten und Dermatologen entwickelt. Kommt ein Patient mit einer unklaren Hautveränderung zum Hausarzt, kann dieser ein Foto zusammen mit einer strukturierten Anamnese direkt an den Dermatologen schicken. Dieser gibt innerhalb von 48 Stunden einen Befund – ohne dass der Patient ihn persönlich aufsuchen muss. Er spart sich den Weg, Zeit und – heute wichtiger denn je – vermindert das Ansteckungsrisiko. Die informationstechnische Umsetzung im Projekt erfolgte an der Hochschule Reutlingen. „TeleDerm“ war so erfolgreich, dass die AOK die Erkenntnisse für den landesweiten Rollout in Baden-Württemberg nutzbar machen möchte.

Bedarf an digitalen Lösungen im Gesundheitswesen steigt

Die Corona-Pandemie hat den Bedarf an digitalen Lösungen im Gesundheitswesen noch einmal deutlich gemacht. Ob telefonische Krankschreibungen oder digitale Sprechstunden – schon jetzt gibt es viele Beispiele für Veränderungen. Christian Thies ist überzeugt, dass die technischen Fragen dabei lösbar sind. „Worauf es wirklich ankommt, ist die Zusammenarbeit sämtlicher Organe im Gesundheitsweisen: Ärzte, Krankenkassen, Behörden und wir als ITler – alle müssen an einem Strang ziehen. Und wir alle als Patienten müssen in der Lage sein, realistische Ansprüche an digitale Lösungen zu stellen.“

Realistisch müsse auch unser Anspruch an die Corona-Warn-App sein, findet Thies. Da die Software anonymisiert arbeite, könne sie Kontaktpersonen nicht benennen, nur ermitteln, welches Smartphone in der Nähe war – und dazu müsse der Austausch zwischen den Geräten garantiert sein, alle müssen die App also nutzen. Für Christian Thies ist sie ein eleganter Kompromiss und ein Beweis, dass digitale Lösungen im Gesundheitswesen umsetzbar sind – auch in einem Land wie Deutschland, in dem Datenschutz ein hohes Gut ist.