Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Wir arbeiten für unsere Patienten und nicht für die Politik“
A&W RedaktionWarme Worte des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn helfen Ärzten und Ärztinnen, die in ihren Praxen gegen die Pandemie kämpfen, nicht – doch Taten lassen auf sich warten. Die IG Med hat sich deshalb in einem offenen Brief an den Politiker gewandt.
Einfach mal feste die Daumen drücken und hoffen, dass es schon gut gehen wird. So in etwa kommt vielen Ärzten und Ärztinnen das Krisenmanagement der Bundesregierung vor. Während Jens Spahn voll des Lobes für Mediziner und Pfleger ist, kommt seine versprochene Unterstützung gegen die Pandemie des „Corona-Virus“ (SARS-CoV -2) in den Arztpraxen bisher nur tröpfchenweise an – wenn überhaupt. Warme Worte der Politiker helfen Ärzten und Ärztinnen sowie deren Mitarbeitern, die in ihren Praxen der Ansteckungsgefahr immer häufiger schutzlos ausgeliefert sind, da aber leider auch nicht.
Die Interessengemeinschaft Medizin (IG Med) wendet sich angesichts der sich weiter zuspitzenden Lage in einem offenen Brief an BM Jens Spahn und kritisiert darin den Umgang der verantwortlichen Politik mit den Vertragsärzten. Wir möchten das Anliegen unterstützen und veröffentlichen den Brief deshalb im Wortlaut.
Offener Brief an Bundesminster Jens Spahn
“Sehr geehrter Herr Minister Spahn,
am 20.03.2020 erreichte uns niedergelassene Vertragsärzte Ihr aufmunterndes Motivationsschreiben. Sie weisen uns darin den Platz am ersten Schutzwall zu, den das Gesundheitswesen aufzubieten habe. Sie loben die Leidenschaft, mit der wir unseren Arztberuf ausüben. Sie freuen sich über unsere kreativen Lösungen im beruflichen Alltag, zu denen wir auf Grund von Mangel an Material und Personal gezwungen sind. Und Sie bedanken sich für den außergewöhnlichen Einsatz.
Unter normalen Umständen hätten wir Vertragsärzte uns vielleicht sogar über das ministerielle Lob gefreut. Nach Ihrem gesetzgeberischen Eifer der letzten 3 Jahre allerdings ist diese Freude nicht einmal nur getrübt, sie ist schlicht nicht vorhanden. Stattdessen lösen Ihre Zeilen eher sogar eine unterdrückte Wut aus und viele von uns Vertragsärzten fühlen sich durch Ihren Brief vorsichtig ausgedrückt nicht angesprochen.
“Wir werden auch diesmal in der ersten Reihe stehen”
Keine Angst, Herr Gesundheitsminister, wir werden auch dieses Mal in der ersten Reihe stehen, soweit wir das bei fehlender Schutzausrüstung für uns, unser Personal, unsere Familien und auch die Patienten verantworten können. Wir tun das aber explizit weder für Sie, noch für die Regierung, nicht für die kassenärztlichen Vereinigungen oder Ärztekammern, sondern einzig und allein, weil wir uns nach wie vor unseren Patienten verpflichtet sehen.
Es wird im Nachgang zu entscheiden sein, inwieweit Fehleinschätzungen und mangelnde Planung, schlechtes Timing und zögerliches Verhalten aber vor allem das seit Jahren kaputt gesparte Gesundheitssystem für die drohenden Ausmaße dieser Corona-Pandemie in Deutschland verantwortlich sein werden und auch wie groß Ihre Rolle als verantwortlicher Ressortminister dabei sein wird.
Spahns Gesetzesvorhaben erschweren Bewältigung der Krise
Klar dürfte jedoch sein, dass keines Ihrer gepriesenen 20 Gesetzesvorhaben in 20 Monaten einen wirklichen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten wird – im Gegenteil kann man davon ausgehen, dass Teile dieser Gesetzgebung das Management der Covid-Pandemie in Deutschland erschweren werden.
Insofern waren wir sehr gespannt darauf, wie die von Ihnen angekündigten Maßnahmen zum Erhalt des ambulanten Sektors ausgestaltet sein würden und welche Gesetze Sie für die Bewältigung der Pandemie vorschlagen würden.
Zum einen ist festzustellen, dass die von Ihnen vorgesehenen Veränderungen im Infektionsschutzgesetz dieses sehr nahe an ein „Ermächtigungsgesetz“ heranrückt, mit dem einschneidende Veränderungen in die persönlichen Grundrechte geplant sind. Dies reicht von einem Außerkraftsetzen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, mit dem Sie rechtfertigen wollen, Ärzte und Pflegekräfte auch ohne entsprechende Schutzmaßnahmen an die Gesundheitsfront schicken zu dürfen, bis hin zu Enteignungen von Praxen und Apotheken. Das ist nicht akzeptabel in einer demokratischen Gesellschaft.
Zum anderen wollen Sie in diesem Gesetz auch die parlamentarische Kontrolle und die Kontrolle durch den Bundestag in einer nationalen Gesundheitsnotlage aufheben – es bleibt das alleinige Durchregieren eines Ressortministers unter Beratung eines einzigen epidemiologischen Instituts (RKI).
Wir haben Zweifel daran, dass es in solch einer Konstellation zu besseren Ergebnissen gekommen wäre, da Sie ja derjenige waren, der noch Anfang Februar zu entspanntem, aber wachsamen Zuwarten geraten hätte.
Wo bleibt die wirtschaftliche Unterstützung?
Was uns auch bewegt, ist es, dass Sie zwar in den ambulant tätigen Ärzten den ersten Schutzwall gegen die Viruspandemie erkennen, allerdings Ihre Maßnahmen zum wirtschaftlichen Erhalt dieses „Bollwerks“ weit hinter dem zurückbleiben, was für die Krankenhäuser als Schutzschirm vorgesehen ist.
Wir gehen davon aus, dass Sie inzwischen mit den Regelungen von EBM und HVM vertraut sind, so dass Ihre Vorschläge kein unwissentlicher Fehler sind.
Sie wissen, dass Sie vor allem die Regelversorgung der chronisch kranken und älteren Patienten erhalten müssen. Diese Versorgung wird in der mGV abgebildet und dort vor allem in den Grund- und Behandlungspauschalen. Genau diesen Bereich jedoch nehmen Sie derzeit bei den Stützungsmaßnahmen aus. Gestützt werden explizit die extrabudgetären Leistungen, also Operationen oder eben auch der von Ihnen neu geschaffene „TSVG-Bereich“, mit dem aber eher die akute Behandlung, die sog. „Fast Lane“ bedient wird. Es wäre also sachgerechter, wenn die Ausgleichspauschalen sich auf den gesamten Honorarumsatz aus GKV-Leistungen beziehen würden.
Weiterhin wird für weitere Stützungsmaßnahmen der ambulanten Versorgung auf den HVM verwiesen, den Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigungen miteinander aushandeln sollen. Ich denke, Sie wissen, dass in diesen angespannten Zeiten die Versuchung der Krankenkassen groß sein wird, genau in diesem Bereich dann die nötigen Einsparungen zu realisieren.
Ärzte zahlen ihre Entschädigung selbt
Auch die Regelung, dass wir Ärzte natürlich für den Missbrauch der Notfallnummer 116117 und den Aufbau eines „Seuchen-Abstrich-Dienstes“ entschädigt werden sollen, klingt zunächst einmal nach einem fairen Angebot. Insbesondere, wenn man weiß, dass diese Nummer und die Strukturen aus Verwaltungsgeldern der Ärzteschaft bestritten werden. Dass diese finanzielle Beteiligung des Bundes aber erst dann zum Tragen kommt, wenn alle Rücklagen, Rückstellungen und Verwaltungskostentöpfe der kassenärztlichen Vereinigungen leer sind, ist ein Schlag ins Gesicht der Vertragsärzte, die diese Gelder ja über die Verwaltungskostenabgabe selbst angespart haben. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Ärzte das Morbiditätsrisiko auch im Katastrophenfall finanziell stemmen müssen. Hier sollten die Kosten in der Tat alle vom Staat übernommen werden – immerhin hat man jahrelang am öffentlichen Gesundheitsdienst Milliardenbeträge durch nicht besetzte Stellen gespart.
Es geht aber nicht nur darum, welche Regelungen Sie treffen. Es geht auch darum, was eben nicht geregelt wird:
Sie setzen nicht eine bürokratische Regel aus, die via Regress zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung der Arztpraxen führen wird – nicht bei den Arzneimitteln, nicht bei der Budgetierung der Leistungen und nicht bei den Plausibilitätsregressen.
Sie halten auch weiterhin an den Sanktionen gegen die Ärzte fest, die sich derzeit unter Sicherheitsaspekten nicht an die Telematik-Infrastruktur anschließen lassen – nein, im Gegenteil – die Verschärfung der Sanktionen wird ab 01.04.2020 scharf gestellt mit 2,5% der Honorarumsätze.
Sie halten auch weiter an Dokumentationspflichten fest, die die Praxen zusätzlich belasten und auch bei den DMP-Regelungen oder den Fortbildungspflichten, die derzeit nicht erbringbar sind, sieht man kein Entgegenkommen.
Schöne Worte, schwache Taten
Sehr geehrter Herr Minister, dies alles ist der Grund, warum der Dank und Ihre warmen Worte eher schal schmecken und uns Ärzten am ersten Schutzwall wenig glaubhaft erscheinen. Wir haben inzwischen gelernt, Politik an ihren Taten zu bemessen. Und hier stimmen Worte und Taten eben nicht überein – einmal mehr! Wir lassen uns aber gerne eines besseren belehren!
Deshalb arbeiten wir für unsere Patienten, aber eben nicht für die Politik – und wir werden das auch – hoffentlich nach der Bewältigung dieser Gesundheitskrise – den Patienten, den Bürgern – Ihren Wählern so vermitteln müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Ilka M. Enger, Dr. med. Steffen Grüner, Annette Apel, Dr. med. Christian Kegel, Bernhard Salomon”