GOÄ: Grundsätze der Gebührenabrechnung
Dr. jur. Alex JanzenDie Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) benötigt dringend eine Reform. Warum das der Fall ist und welche Grundsätze der Abrechnung auch künftig beachtet werden müssen, erklärt Rechtsanwalt Dr. Alex Janzen.
Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) stellt für die Abrechnung von ärztlichen Leistungen außerhalb bzw. neben dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung einen Rahmen bereit, der seit der Verabschiedung im Jahr 1982 immer noch auf eine grundlegende und vielfach geforderte Reform wartet. Reformbedürftig sind nicht nur das Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen, sondern auch der sog. „Paragraphenteil“ mit den allgemeinen Bestimmungen zur ordnungsgemäßen Gebührenabrechnung. Es kann nicht mehr nachvollzogen werden, dass z. B. die Bestimmungen zum Wegegeld (§ 8 GOÄ) und zur Reiseentschädigung (§ 9 GOÄ) – um nur einige und offensichtliche Ungereimtheiten der GOÄ zu nennen – seit mehr als 20 Jahre nach Einführung des Euro immer noch in DM angeführt und nicht angepasst worden sind.
I. GOÄ als eine Auffang-Gebührenordnung
Gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ ist diese auf jegliche ärztlichen Leistungen anzuwenden, soweit ein Bundesgesetz hiervon keine abweichende Regelung trifft. Hieraus folgt, dass der GOÄ der Charakter einer Auffang-Gebührenordnung zukommt: Sie wird erst angewendet, soweit nicht andere Honorarregelungen greifen. Zu denken ist hier in erster Linie an den EBM im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus dem Auffangcharakter der GOÄ folgt auch, dass deren Bestimmungen auch dann, ggf. analog, angewendet werden, wenn eine speziellere Gebührenordnung, wie der EBM oder auch die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) einen bestimmten Leistungstatbestand nicht regelt. Eine analoge Anwendung von Bestimmungen der GOÄ macht eine Gebührenabrechnung allerdings in hohem Maße fehler- und streitanfällig. So müssen doch der abrechnende Arzt und die Kassenärztliche Vereinigung die komplexen juristischen Anforderungen an eine analoge Anwendung von Rechtsvorschriften genau kennen und diese auf den konkreten Einzelfall auch richtig anwenden. Es liegt auf der Hand, dass dabei einer oder auch beiden Seiten unschwer Fehler unterlaufen können.
II. Von GOÄ abweichende Vereinbarungen
1. Vereinbarungen nur in Bezug auf die Gebührenhöhe
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GOÄ kann durch eine Vereinbarung eine Gebührenhöhe festgelegt werden, die von der GOÄ abweicht. Diese auf den ersten Blick klare Bestimmung hat schon vielen Honorarrechnungen „einen Strich durch die Rechnung“ gemacht. Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung macht deutlich, dass nicht jede Abweichung von der GOÄ zulässig ist, sondern grundsätzlich nur eine solche, die sich auf die Gebührenhöhe einer ärztlichen Leistung bezieht. Es ist deshalb nicht möglich, durch eine Vereinbarung eine ärztliche Leistung abrechenbar zu machen, die nach der GOÄ nicht abrechenbar ist. Mit anderen Worten: § 2 Abs. 1 Satz 1 GOÄ erlaubt – in engen Grenzen – eine Gebührenabweichung von der GOÄ nur der Höhe nicht jedoch dem Grunde nach. Werden gleichwohl Leistungen, die nach der GOÄ nicht abrechenbar sind, unter Verweis auf § 2 Abs. 1 Satz 1 GOÄ vereinbart, ist die betreffende Vereinbarung nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch BGB unwirksam (nichtig) und entfaltet als solche keinerlei Bindungswirkung. D. h. ein Arzt kann, auch wenn er seine Leistung bereits erbracht hat, vom Patienten unter Berufung auf eine solche unwirksame Vereinbarung keinerlei Vergütung verlangen.
2. Anforderungen an die Gebührenvereinbarungen
§2 Abs. 2 GOÄ macht die Wirksamkeit einer Gebührenvereinbarung von der Einhaltung strenger Voraussetzungen abhängig. Zu beachten sind zuerst die zwingenden formalen Anforderungen an eine Gebührenvereinbarung, diese muss nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GOÄ
- nach persönlicher Absprache
- im Einzelfall
- zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem
- vor Erbringung der Leistung des Arztes und
- in einem Schriftstück
getroffen werden. Alle diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt werden.
Das Schriftstück mit der Gebührenvereinbarung muss darüber hinaus nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GOÄ nur folgende und keine anderen Bestandteile enthalten:
- Nummer der Leistung,
- Bezeichnung der Leistung,
- den Steigerungssatz,
- den vereinbarten Betrag und
- die Feststellung, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist.
Die Gebührenvereinbarung darf nach expliziter Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz 3 GOÄ keine weiteren Erklärungen enthalten. Der Arzt muss diese Gebührenvereinbarung nach § 2 Abs. 2 Satz 4 GOÄ dem Zahlungspflichtigen als einen Abdruck aushändigen.
3. Von einer Vereinbarung ausgeschlossene Leistungen
Die GOÄ nimmt viele ärztliche Leistungen von der Möglichkeit aus, darüber eine abweichende Gebührenvereinbarung treffen zu können. So können in einer Gebührenvereinbarung keine abweichende Punktzahl (§ 5 Abs. 1 Satz 2 GOÄ) und auch kein abweichender Punktwert (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GOÄ) festgelegt werden. Ferner dürfen über akute und Notfallbehandlungen keine Gebührenvereinbarungen getroffen werden. Das Gleiche gilt für Gebühren bei Durchführen von legalen Schwangerschaftsabbrüchen nach dem Strafgesetzbuch. Gänzlich ausgeschlossen sind auch Vereinbarungen über Gebühren
- in besonderen Fällen (GOÄ-Abschnitt A),
- bei Physikalisch-medizinischen Leistungen (GOÄ-Abschnitt E),
- bei Laboratoriumsuntersuchungen (GOÄ-Abschnitt M) und
- bei Strahlendiagnostik, Nuklearmedizin, Magnetresonanztomographie und Strahlentherapie (GOÄ-Abschnitt O).
Darüber hinaus können nach § 2 Abs. 3 GOÄ bei wahlärztlichen Leistungen Gebührenvereinbarungen nur abgeschlossen werden, wenn die betreffenden Leistungen vom Wahlarzt höchstpersönlich erbracht werden.
4. Angemessenheit der vereinbarten Gebühren
Eine weitere Grenze für eine Gebührenvereinbarung stellt das zwingende Erfordernis der Angemessenheit der vereinbarten Gebühren. Dies ergibt sich nach überwiegender Meinung auch im Bereich der GOÄ-Gebührenvereinbarungen aus § 12 Abs. 1 Satz 1 Musterberufsordnung Ärzte (MBO-Ä). Ob eine Gebührenvereinbarung angemessen ist, lässt sich nicht allgemein festlegen, die Angemessenheit muss sich aus allen Umständen des konkreten Falles bzw. der konkreten Behandlung ergeben. So werden für eine Routinebehandlung andere Kriterien für eine Angemessenheit aufgestellt, als für eine risikoreiche und langandauernde Behandlung.
Das Gleiche gilt für den auch bei einer GOÄ-Gebührenvereinbarung gebotenen Unterschied zwischen unterschiedlichen vereinbarten Leistungen: Diese müssen sich je nach Schwierigkeit und der zeitlichen Behandlungsdauer in Bezug auf den vereinbarten Steigerungssatz unterscheiden. Tun sie es nicht bzw. nicht hinreichend, benachteiligt die betreffende Gebührenvereinbarung den Patienten unangemessen und ist aus diesem Grund unwirksam. Darüber hinaus werden auch Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines konkreten Patienten auf die Angemessenheit einer Gebührenvereinbarung einen Einfluss haben, da § 12 Abs. 1 Satz 4 MBO-Ä verlangt, bei einer Honorarvereinbarung darauf eine gebotene Rücksicht zu nehmen.
5. Individuell ausgehandelte Gebührenvereinbarungen
Nach der Rechtsprechung dürfen Gebührenvereinbarungen nicht als allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ausformuliert werden. Darunter werden vorformulierte Vereinbarungen verstanden, die vom Verwender (hier: einem Arzt) der anderen Vertragspartei (hier: dem Patienten) vorgelegt werden (§ 305 Abs. 1 BGB). Die AGB liegen nach der Rechtsprechung nur dann nicht vor, wenn die Gebührenvereinbarungen zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patienten individuell ausgehandelt werden. Dafür müsste der Arzt nach der Rechtsprechung die abzuschließende Gebührenvereinbarung dem Patienten „ernsthaft zur Disposition stellen“ und diesem auch eigene Gestaltungsfreiheit in Bezug auf die Gebührenvereinbarung gewähren.
Im Einzelnen bleibt allerdings unklar bzw. streitig, wie individuell Gebührenvereinbarungen sein müssen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2005 entschieden, dass eine ärztliche Honorarvereinbarung sehr wohl vorformuliert sein darf, lediglich Teile der Honorarvereinbarung mit individuell zu vereinbarenden Steigerungssätzen müssten frei und für eine individuelle Aushandlung zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patienten offen sein. Wendet man diese Rechtsprechung des BVerfG unreflektiert an, bleibt von einem ernsthaften Aushandeln einer Gebührenvereinbarung, wie es das gesetzliche Leitbild fordert (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB), nicht mehr viel übrig.
Entscheidend dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass das Gesetz nicht bloß irgendein Verhandeln über eine Vereinbarung fordert, um die AGB auszuschließen, sondern verlangt, dass „die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt“ worden sind. Ein Aushandeln der Vertragsbedingungen im Einzelnen liegt nur vor, wenn eine Gebührenvereinbarung als solche und nicht nur einzelne Steigerungssätze ausgehandelt werden.
Letztlich wird es deshalb, wie stets, auf den Einzelfall ankommen, ob eine Gebührenvereinbarung tatsächlich als eine Individualvereinbarung zulässig ist, oder mangels eines hinreichenden Aushandelns AGB bleibt und damit unwirksam ist.