Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Herr Dr. Schlott, Sie zeigen unter anderem Führungskräften und Spitzensportlern, wie guter Schlaf funktioniert und was sie leistungsfähiger und erfolgreicher macht. Wie gehen Sie bei Ihrem Coaching vor?

Normalerweise nehmen die Klienten Kontakt mit mir auf und wir schauen uns gemeinsam die Themen an, die sie in Sachen Schlaf beschäftigen. Ich möchte zunächst ein Gefühl für meine Klienten entwickeln und gehe dann gemeinsam mit ihnen in die Analyse. Viele haben schon im Vorfeld ihr Schlafverhalten getrackt oder haben es noch vor. So können wir in etwa herausfinden: Wie sieht es mit ihren Tief- und Traumschlafphasen aus? Wie oft werden sie nachts wach und wie schnell können sie wieder einschlafen? Und wie lange ist die Schlafdauer?

Manchmal muss ich auch tiefer einsteigen, wenn der Schlaf gestört ist. Dann kann die Schlaflosigkeit auch ein Ausdruck dessen sein, dass im Klienten ein Unruheherd schlummert. Beim Schlafcoaching ist es deshalb auch mein Ziel, innere Zwickmühlen oder Konflikte zu lösen, um die Patienten wieder zur Ruhe und Entspannung zu führen.

Das heißt, wer besser schlafen möchte, muss Zeit investieren und auch Geduld beweisen?

Ja, denn Schlaf ist nichts, was sich in irgendeiner Form erzwingen lässt. Viele haben die falsche Hoffnung, dass sie sich einfach hinlegen, den Schalter umlegen und schon schlafen sie besser. Dabei braucht es viele Voraussetzungen, damit der Körper tatsächlich auch in die Ruhe gehen kann.

Welche Rolle spielen dabei das Schlafzimmer und das eigene Bett, um seinen Schlaf zu verbessern?

Eine sehr wichtige. Ich schaue mir im Schlafcoaching manchmal auch die Verhältnisse vor Ort an, sprich: Wie ist das Schlafzimmer gestaltet, wie sieht es mit den Lichtverhältnissen aus und treten Geräusche oder Vibrationen auf, die den Schlaf beeinflussen können? Wenn Leute zum Beispiel eine Wohnung über der U-Bahn haben oder im Hotel neben einem Aufzug schlafen, kann das den Schlaf erheblich verändern.

Ich schaue mir außerdem das Raumklima genauer an, ob Pflanzen vorhanden sind und wie das Schlafzimmer farblich und ordnungsmäßig gestaltet ist. In der Coronazeit haben viele ihren Arbeitsplatz im Home-Office mit dem Schlafzimmer vermischt – in so einem Fall muss man gucken, eine räumliche Trennung hinzubekommen, damit das Schlafzimmer wirklich nur zum Schlafen da ist. Zur Not, wenn es nicht anders geht, kann ein Raumteiler helfen, damit der Schlafbereich vom Rest entkoppelt ist und das Unterbewusstsein den Ruhebereich auch als solchen wahrnimmt.

Beim Bett ist es wichtig, dass der Lattenrost und die Matratze passen und letztere zum Beispiel nicht schon zu sehr in die Jahre gekommen ist. Ich empfehle außerdem, eher auf Schafwolldecken als Daunendecken zurückzugreifen, da sie für ein besseres Mikroklima in der Nacht sorgen. Für zusätzliche Entspannung sorgt oft ein Bett aus Zirbenholz, denkbar sind auch Erdungsmatten.    

Sie kennen es selbst von Ihrer Laufbahn: Der ärztliche Beruf ist sehr stressig und sehr herausfordernd. Wo können speziell niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ansetzen, um ihren Schlaf und ihre Regeneration zu verbessern?

Ich glaube, der wichtigste Schritt ist, sich bewusst zu machen, wie wichtig der Schlaf für uns ist. Wir sollten uns nochmal vor Augen führen, dass der Schlaf eine entscheidende Rolle in sämtlichen gesundheitlichen Prozessen spielt. Und sobald ich meinen Schlaf als besonders wichtig erachte, kann ich auch mein Handeln ein Stück weit daran orientieren. So können Niedergelassene zum Beispiel darauf achten, dass sie sich tagsüber die Zeit nehmen, um sich körperlich auszupowern oder zumindest bei Tageslicht zu spazieren.

Tageslicht ist eminent wichtig für uns, darum rate ich immer, Zeit zum Rausgehen zu investieren – und wenn es nur eine Viertelstunde morgens sowie abends ist. Die Lichtimpulse helfen dabei, unsere innere Uhr zu synchronisieren. Außerdem ist das Tageslicht wichtig für die Bildung von Serotonin, aus dem dann bei einsetzender Dunkelheit Melatonin gebildet wird.

Und wir Ärzte sollten uns öfter bewusst machen, dass wir mit unserer Arbeit etwas Sinnhaftes machen. Wir helfen und heilen Menschen und können auch eine gewissen Zufriedenheit schenken. Das geht im stressigen Praxisalltag oft unter, aber die Sinnhaftigkeit lässt uns besser abschalten. Und man sollte nach Möglichkeit abends ab 21 oder 22 Uhr Zeit für sich finden, um in die Ruhephase vor dem Einschlafen zu kommen.

Wie gelingt es dabei, in diese Ruhephase zu kommen? Welche Techniken helfen dabei?

Atemübungen zur Meditation sind in meinen Augen sehr hilfreich. Eine gute Übung ist es, eine Hand auf die Bauchdecke zu legen und dabei zu spüren, wie sich die Bauchdecke hebt und senkt. Damit löse ich mich auch von meinem Gedankenkarussell. Wenn es im Kopf immer noch rattert, kann ich versuchen, mir die Gedanken als eine Art Tagebuch von der Seele zu schreiben. Manchmal rate ich meinen Klienten, dass sie nochmal barfuß über den Rasen laufen, um sich besser zu spüren und die Körperwahrnehmung zu verbessern. Was auch helfen kann, ist Entspannung durch ein Hörbuch oder einen ruhigen Podcast. In meiner Arbeit als Schlafcoach empfehle ich meinen Klienten zum Beispiel, ihre alten „Benjamin Blümchen“-Kassetten aus der Kindheit zu hören oder als anderes Beispiel „Die Drei ???“ wieder herauszukramen. Diese Kassetten geben uns ein Gefühl von Geborgenheit, weil sie schöne Erinnerungen wecken.    

Was haben Sie bei Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit dem Thema Schlaf beobachtet?

Zum einen wissen Ärzte natürlich um die Wirkung von Schlaf. Dass sie damit beispielsweise ihre körpereigene Apotheke aktivieren mit Melatonin, was auch noch ein großer Radikalfänger ist und das Immunsystem unterstützt. Es ist bekannt, dass es ein guter protektiver Mechanismus gegen Infektionen und weitere Krankheiten ist. Gleichzeitig greifen Mediziner nicht selten zu „Little Helpers“ wie zum Beispiel Schlaftabletten, um einzuschlafen.    

Treten Schlafstörungen bei Ärztinnen und Ärzten damit häufiger auf?

Ja, durchaus. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass wir unserem Helferanspruch bis fast zur Selbstaufgabe nachkommen und die eigenen Bedürfnisse oft hinten anstellen. Und wenn das länger anhält, zapfen wir permanent unsere Reserven an und funktionieren praktisch über unsere Energieverhältnisse. Daran müssen wir arbeiten, auch auf uns selbst zu achten. Und wenn immer wieder Schicht- oder Bereitschaftsdienste dazukommen, wird es auch schwer, in einen Normalrhythmus zu gelangen.    

Welchen Kniff gibt es für Ärzte, die sich in einer solchen anstrengenden Bereitschaftsdienstwoche befinden?

Das kommt auf die Situation an. Nehmen wir zum Beispiel eine Nacht im Bereitschaftsdienst: Hier empfehle ich, wenn man morgens nach Hause kommt und merkt, man ist irgendwie wirklich völlig durch und hat die ganze Nacht durchgearbeitet, sich direkt hinzulegen und zu schlafen. Nützlich ist in diesem Fall auch eine Brille mit orangefarbenen Brillengläsern, denn sie filtert das Licht im blauwelligen Bereich und damit auch das Tageslicht weg. Ansonsten würde unser Gehirn wieder aktiv werden, was kontraproduktiv ist.

Wenn es ein eher zerstückelter Bereitschafsdienst war mit einigen Stunden Schlaf zwischendrin, dann würde ich immer schauen, am nächsten Tag aktiv zu sein und mich sportlich zu betätigen, wenn es die Zeit zulässt. Durch das Auspowern erreichen wir die nötige Bettschwere und können abends früher ins Bett gehen, aber bei einem längeren Mittagsschlaf raubt man sich den Schlafdruck für die Nacht.    

Wie lange ist aus Ihrer Sicht die ideale Schlafdauer?

Der Schlaf ist in dieser Hinsicht sehr individuell. Es gibt Personen, denen reichen vier bis fünf Stunden, aber das ist die Ausnahme, die meisten brauchen deutlich mehr. Siebeneinhalb bis neun Stunden Schlaf pro Nacht halte ich für angebracht, um auf Dauer leistungsfähiger zu sein. Beim Schlaf kommt es aber nicht nur auf die Länge, sondern auch auf die Qualität an. Das heißt, ich sollte auch gucken, dass ich wirklich ausreichend Tiefschlaf bekomme, 60 bis 90 Minuten wären super. Denn beim Tiefschlaf laufen wichtige Prozesse fürs Immunsystem, für die Gedächtnisleistung und für das Hormonsystem ab.

Der REM-Schlaf wiederum ist wichtig für die Verarbeitung von Emotionen und hilft uns bestenfalls, am nächsten Tag wieder in einer guten emotionalen Verfassung an den Start zu gehen. Wer gut ausgeschlafen ist, kommuniziert oft besser, ist empathischer und zeigt sich bei der Lösungsfindung kreativer. Gerade für Ärzte ist es wichtig, dass sie hier eine Handlungssouveranität bekommen. Ein „Powernap“ tagsüber kann uns auch wieder frischer machen, er sollte aber nicht länger als 20 bis 30 Minuten dauern, um nicht in die Tiefschlafphase zu kommen.

In Ihren Vorträgen erwähnen Sie auch die sogenannten Schlafsaboteure. Welche sind das?

Koffein ist ein klassischer Saboteur, da er lange nachwirkt. Trinke ich etwa bis 16:00 Uhr noch Kaffee, dann habe ich um 20:00 Uhr noch die halbe Dosis des Koffeins und um Mitternacht ein Viertel der Dosis im Körper. Künstliches, helles Licht wirkt auch eher schlafhemmend, genauso wie schweres Essen am Abend oder Alkohol. Dazu zähle ich noch Stress und zu wenig Bewegung zu den Schlafsaboteuren. Deshalb sollten wir tagsüber immer auch kleine Inseln für uns schaffen, um zwischendrin eine Kurzmeditation zu absolvieren oder einen Spaziergang zu machen.

Umgekehrt können wir viel über die richtige Versorgung mit Nährstoffen dazu beitragen, unseren Schlaf zu verbessern. Vor allem Aminosäuren sind hier essenziell, genau wie Omega-3-Fettsäuren oder auch Magnesium, Zink und Selen. Dieses Wissen können Ärztinnen und Ärzte auch in ihrer Praxis anwenden, wenn Patienten mit Schlafstörungen auf sie zukommen.

© Dr. Martin Schlott – Fotograf: Florian Beier

Dr. med. Martin Schlott

  • Schlafcoach und Mentaltrainer an der Mentalcoaching Akademie in Bad Tölz

  • hält als Keynote Speaker Vorträge für Firmen, Vereine und für Unternehmen und deren Kunden

  • Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin an der Stadtklinik Bad Tölz

  • Autor des Buches Erfolgsfaktor Schlaf: Leistungen steigern, Traumergebnisse erzielen - Die faszinierenden Erkenntnisse eines Anästhesisten und Schlafcoachs, Ariston-Verlag, 2021