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Medizin

Langzeitanalyse zu Schlaf und Depression

Eine neue Analyse von Längsschnitt-Daten, die von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zusammen mit IT-Partnern erhoben wurden, zeigt wie eng der Zusammenhang zwischen Schlaf und Stimmung ist. Im Rahmen eines Pilotprojektes dokumentierten 22 an Depression erkrankte Studienteilnehmer an durchschnittlich 173 Tagen mithilfe einer App ihre Bett- und Schlafzeiten sowie ihre depressiven Symptome. Dabei zeigt sich: bei elf dieser Patienten geht in statistisch signifikanter Weise eine längere Bett- oder Schlafzeit mit einer Verschlechterung der Depression einher. Wobei bei sechs von ihnen eine vorhergehende längere Bettzeit zu mehr depressiven Symptomen führt und diese damit möglicherweise sogar verursacht werden.

„Wenn Betroffene bei sich den Zusammenhang zwischen Depression und Bettzeit verstehen, dann können in Rücksprache mit dem Behandler daraus ganz individuelle Therapieempfehlungen abgeleitet werden. Beobachtet ein Patient beispielsweise, dass er sich nach längeren Bett- oder Schlafzeiten noch erschöpfter fühlt, so kann eine Verkürzung der Bettzeit auf circa 8 Stunden sinnvoll sein“, erläutert Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt/M. die Ergebnisse.

Aktuell arbeitet die Stiftung Deutsche Depressionshilfe an einer App, die Patienten zur Dokumentation des Schlafverhaltens und der Stimmung zur Verfügung gestellt werden kann. Die App soll 2021 kostenfrei zugänglich sein.

Warum übermüdete Kinder aufdrehen – wie Schlaf und Stimmung zusammenhängen

Depressiv Erkrankte fühlen sich immer erschöpft und haben eine große Sehnsucht nach erholsamem Schlaf. Bei einigen wirkt der Schlaf jedoch depressionsverstärkend. Schlafreduktion kann dann eine antidepressive Wirkung haben. Der zugrundeliegende Mechanismus kann gut am Beispiel von übermüdeten Kindern verdeutlicht werden: Müde Kinder werden plötzlich überaktiv und sind voller Energie. Der Körper braucht eigentlich Schlaf. Dem steuert das müde Kind jedoch entgegen, indem es eine reizintensive Umgebung schafft, die das Einschlafen verhindert. Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) haben ebenso eine erhöhte Einschlafneigung, wie in Studien gezeigt wurde. In einer ruhigen Umgebung, z.B. im Schulunterricht, neigt der Organismus zum Einschlafen und steuert gegen, indem er – ähnlich wie bei den übermüdeten Kindern – durch Hyperaktivität und Ablenkbarkeit eine reizintensive Umwelt schafft.

Warum depressiv Erkrankte Ruhe suchen

Depression ist das Gegenteil: Depressive Menschen sind häufig von einer chronisch erhöhten Wachheit betroffen. Patienten fühlen sich dauerhaft angespannt wie vor einer Prüfung, können nicht entspannen und kommen trotz Müdigkeit nur schwer zur Ruhe. Betroffene steuern gegen, indem sie sich zurückziehen und alle weiteren äußeren Reize wie z.B. soziale Kontakte oder laute Musik vermeiden. Sie neigen dazu, früher ins Bett zu gehen, morgens länger liegen zu bleiben und sich auch tagsüber hinzulegen – immer in der Hoffnung, zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen. Allerdings beginnt ein Teufelskreis: Denn Schlaf führt bei vielen Betroffenen zu einer Zunahme der Depression, da nach dem Schlaf die Wachheit gestärkt und die Anspannung besonders hoch ist. Bei vielen Betroffenen sind deshalb morgens die Depressionssymptome am stärksten.

Schlafentzug wirkt antidepressiv

Für viele Patienten ist ein Verhalten sehr hilfreich, das der erhöhten Wachheit entgegenwirkt und schlaffördernd ist. Schlafentzug ist eine etablierte Behandlungsform der Depression, die in vielen Kliniken angeboten wird. Patienten bleiben eine ganze Nacht oder die zweite Nachthälfte wach und sollen auch den nächsten Tag über nicht schlafen. Die Mehrheit der Patienten erlebt dabei, dass sich in den frühen Morgenstunden die Stimmung plötzlich aufhellt und die oft seit Monaten bestehende Erschöpfung und auch die Hoffnungslosigkeit abklingen. Dieser Effekt hält jedoch nur bis zum nächsten Schlaf an. „Der Schlafentzug zeigt den Erkrankten, dass die Depression durchbrochen werden kann und vermittelt dadurch wieder Hoffnung“ erläutert Hegerl. Auch Sport ist eine gute unterstützende Maßnahme bei Depression, da Bewegung müde macht und der hohen Wachheit entgegenwirkt.