Höhere Lebenszufriedenheit nach Hormontherapie
Constanze PolenzJunge, transsexuelle oder non-binäre Menschen, deren äußeres Erscheinungsbild durch eine Hormontherapie angepasst wurde, erlebten eine Steigerung ihrer Lebenszufriedenheit und eine Abnahme von Ängsten und Depressionen. Das zeigt eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie.
Viele transsexuelle oder non-binäre Jugendliche leiden an einer sogenannten Genderdysphorie. Das heißt, sie leiden daran, dass ihre körperliche Erscheinung nicht mit ihrer Geschlechtsidentität kongruent ist. Diese Jugendlichen haben häufiger Depressionen, Angsterkrankungen und ein höheres Suizidrisiko als Jugendliche, deren biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität übereinstimmen. Viele von ihnen wünschen sich eine Behandlung, die ihren Körper so verändert, dass er besser zu ihrer Geschlechtsidentität passt.
Hormontherapie mit Testosteron oder Estradiol
Eine Hormontherapie mit Testosteron oder Estradiol trägt dazu bei. Sie fördert die Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale wie die Zunahme der Körperbehaarung oder das Brustwachstum. Diese Behandlungen sind aber unter anderem wegen ihrer Nebenwirkungen und möglichen Langzeitwirkungen umstritten. Allerdings gab es bisher kaum Langzeitdaten zu den Ergebnissen einer solchen Hormontherapie.
Diane Chen, Kinderpsychologin im Gender and Sex Development Program am Ann and Robert H. Lurie Children’s Hospital of Chicago untersuchte deshalb mit ihrem Team in einer multizentrischen, prospektiven Längsschnittstudie den Verlauf psychosozialer Funktionsfähigkeiten bei transsexuellen und non-binären Jugendlichen, während und zwei Jahre nach Beginn einer Behandlung mit geschlechtsanpassenden Hormonen.
Lebenszufriedenheit steigt nach Hormontherapie deutlich
An der Studie nahmen 315 transsexuelle und non-binäre junge Menschen im Alter von zwölf bis zwanzig Jahren teil. 190 Teilnehmer (60,3 Prozent) waren transmännlich, was bedeutet, dass ihnen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, sie sich selbst aber als Mann identifizierten. 25 Teilnehmer (7,9 Prozent) hatten zuvor eine Behandlung mit Medikamenten bekommen, die die Pubertät unterdrücken.
Sowohl zu Beginn der Hormonbehandlung als auch nach 6, 12, 18 und 24 Monaten, beantworteten die Teilnehmer verschiedene psychologische Fragebögen. Mit ihnen wurde ermittelt, wie wohl und kongruent sie sich in ihrem Körper fühlen. Desweiteren wurden Depressionen, Ängste, positive Affekte und Lebenszufriedenheit erfasst. Mithilfe modellierter, latenter Wachstumskurven untersuchte das Forscherteam die individuellen Verläufe dieser Parameter. Außerdem untersuchten sie die Korrelation zwischen diesen psychosozialen Ergebnissen und der Veränderung der Erscheinungskongruenz im Behandlungsverlauf. Das war die größte Studie dieser Art mit dem längsten Nachbeobachtungszeitraum.
Rückgang der Genderdysphorie
Während der Behandlung nahm die Kongruenz zwischen körperlichem Erscheinungsbild und Geschlechtsidentität zu. Lebenszufriedenheit und positiver Affekt verbesserten sich signifikant. Die Depressions- und Angstsymptomatik nahm bei den meisten Jugendlichen ab. Dabei korrelierte die Zunahme der Erscheinungskongruenz mit der psychosozialen Veränderung. Die häufigste unerwünschte Wirkung waren Selbstmordgedanken bei elf Teilnehmern und der Suizid von zwei Teilnehmern.
“Unsere Ergebnisse liefern solide wissenschaftliche Belege dafür, dass eine verbesserte Übereinstimmung des Aussehens infolge einer Hormonbehandlung eng mit besseren psychischen Ergebnissen bei transsexuellen und non-binären Jugendlichen verbunden ist”, sagte die Hauptautorin Diane Chen.
Quellen: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2206297?query=recirc_top_ribbon_article_3