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Medizinrecht

Zwangsbehandlungen von Patienten sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich, bisher aber nur im Krankenhaus. Das wird sich ändern, denn das Bundesverfassungsgericht hält die gegenwärtige Rechtslage für verfassungswidrig und verpflichtete Ende 2024 den Gesetzgeber dazu, nachzubessern. Wenn Zwangsbehandlungen künftig im häuslichen Umfeld möglich sein sollen, müssen sich auch Hausärztinnen und -ärzte mit der Thematik befassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt nun in einer Entscheidung klar, unter welchen Voraussetzungen der Off-Label-Use eines Arzneimittels bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen eines betreuten Patienten zulässig ist. Die gemeinsame Entscheidung des Arztes und des Betreuers setzt danach eine medizinisch-wissenschaftlich konsentierte Grundlage voraus.

Intramuskuläre Gabe nicht von Zulassung gedeckt

In dem Fall ging es um die zwangsweise Gabe des Neuroleptikums Haloperidol. Die 65-jährige Betroffene litt unter einer wahnhaften Störung und war in der Psychiatrie untergebracht. Haloperidol sollte sie oral erhalten, verweigerte dies jedoch. Die Betreuerin beantragte die zwangsweise Gabe von Haloperidol intravenös.

Das Medikament ist nur in der Form einer oralen Verabreichung zur Behandlung von Schizophrenie, schizoaffektiven Störungen sowie von mittelschweren bis schweren manischen Episoden zugelassen. Für eine intramuskuläre Verabreichung liegt bei dieser Indikation keine Zulassung vor. Als Nebenwirkung der intramuskulären Gabe kann es in vereinzelten Fällen zum plötzlichen Hirntod kommen. Der BGH musste nun klären, unter welchen Voraussetzungen die zwangsweise Gabe von Haloperidol intramuskulär bei einer betreuten Person zulässig ist.

Die Behandlung eines Patienten mit einem Arzneimittel setzt dessen wirksame Einwilligung voraus. Anstelle eines Betreuten kann auch der Betreuer im Rahmen einer Unterbringung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Dafür müssen alle in § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgezählten Voraussetzungen vorliegen. Dazu zählen unter anderem:

  • eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus,

  • die ärztliche Zwangsmaßnahme muss notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden vom Betreuten abzuwenden.

Vor allem an dem Merkmal der Notwendigkeit der Maßnahme entbrannte die Diskussion. Der BGH stellte klar, dass sich wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs die Durchführung auf einen breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens stützen muss. Eine Behandlungsform, die nicht breitem medizinischen Konsens entspreche, dürfe zwar grundsätzlich dem Patienten in ärztlicher Verantwortung angeboten werden, aber nicht mit staatlicher Gewalt gegen seinen Willen zwangsweise durchgesetzt werden.

Gibt es einen tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens?

Von einem tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens ist laut Gericht auszugehen, wenn die vorgesehene Behandlung den evidenzbasierten Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums entspricht. Dazu zählten die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer sowie die von den führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien.

Die S3-Leitlinie Schizophrenie verweist auf die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien für den Off-Label-Use. Voraussetzung ist unter anderem eine gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient. Diese könne zwar auch zwischen dem Arzt und dem Betreuer erfolgen. Aber eben nur, wenn ein medizinisch-wissenschaftlicher Konsens vorliegt (07.05.2025, Az. XII ZB 361/24). Nun muss sich das Landgericht Berlin II noch einmal genau ansehen, ob es in dem vorliegenden Fall einen solchen gibt.

Off-Label-Use

Die Anwendung von Arzneimitteln außerhalb ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung kommt in der Praxis häufig vor. Sie bedeutet für sich genommen keinen ärztlichen Behandlungsfehler. Um Substanzen als Off-Label-Gebrauch in der Praxis einzusetzen, müssen aber die Kriterien der nachgewiesenen Wirksamkeit, des günstigen Nutzen-Risikoprofils und der fehlenden Alternativen erfüllt sein. Außerdem hat der behandelnde Arzt eine besondere Aufklärungspflicht über mögliche Konsequenzen (zum Beispiel keine Herstellerhaftung). Eine gemeinsame Entscheidungsfindung ist notwendig.

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