Bettnässen: Enuresis nocturna diagnostizieren und behandeln
Dr. Melanie SöchtigWährend die meisten Kinder bis zum fünften Lebensjahr trocken werden, kann es bei einigen auch länger dauern. Was bei der Diagnosestellung wichtig ist und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
Zu diesen Themen informierten jetzt Expertinnen und Experten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in einer Pressemitteilung. Demnach liegt eine Enuresis nocturna dann vor, wenn Kinder etwa ab einem Alter von fünf Jahren mindestens einmal im Monat im Verlauf von drei Monaten nachts ins Bett urinieren und organische Ursachen ausgeschlossen sind.
War das Kind noch nie länger als ein halbes Jahr am Stück trocken, so spricht man von einer primären Enuresis bzw. Harninkontinenz. Im Gegensatz dazu beschreibt die sekundäre Enuresis einen Rückfall nach mindestens sechs trockenen Monaten. Die Ursachen sind meist psychologischer Natur. Beispiele für typische Auslöser sind die Geburt eines Geschwisterkindes, eine Trennung der Eltern oder der Wechsel vom Kindergarten in die Schule.
Blasenkontrolle: auch von Entwicklung abhängig
„Wann Kinder trocken werden, hängt vom individuellen Reifungsprozess ab. Deshalb können Eltern das Trockenwerden auch nicht erzwingen“, sagt Dr. Ulrich Fegeler, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des Expertengremiums des BVKJ. „Zeigt das Kind Interesse, können Eltern bei ihm etwa mit 18 Monaten spielerisch mit dem Sauberkeitstraining anfangen. Im dritten Lebensjahr erwerben bereits viele Kinder eine verlässliche Blasenkontrolle tagsüber, allerdings nicht unbedingt schon nachts. Die Bandbreite der normalen Kontinenzentwicklung ist insgesamt enorm groß.“
Ein erhöhtes Risiko für eine verzögerte Reifung der nächtlichen Harnblasenkontrolle tragen beispielsweise Frühgeborene sowie Kinder mit ADHS oder Autismus. Da eine Enuresis nocturna in einigen Familien gehäuft auftritt, geht man außerdem auch von einer genetischen Prädisposition aus.
Diagnose: Urinabgabe und Trinkverhalten dokumentieren
Besondere Bedeutung bei der Diagnosestellung hat das Führen eines Blasentagebuchs und eines Protokolls über die Blasenentleerung. Das Blasentagebuch dokumentiert die Urinabgabe und das Trinkverhalten über mindestens 48 Stunden. Die Expertinnen und Experten des BVJK empfehlen zusätzlich eine Erfassung der nassen und trockenen Nächte in einem Kalender.
Allein diese Maßnahme führt bei etwa 15 bis 20 Prozent aller Kinder dazu, dass sie nachts trocken werden. In der Regel ist eine Dauer von vier Wochen ausreichend. Bei ausbleibendem Erfolg sollte die Kalenderführung bereits nach zwei Wochen beendet werden. Stellt sich eine deutliche Verbesserung ein, kann auch eine Weiterführung über mehr als vier Wochen sinnvoll sein. „Damit und mit einer ausführlichen körperlichen Untersuchung mit Urinprobe, Befragung und einer Ultraschalluntersuchung der Nieren und Harnwege kann der Kinder- und Jugendarzt körperliche Ursachen ausschließen und einen Therapieplan erstellen“, so Fegeler.
Therapie: Verhaltensmodifikation und Medikamente helfen
Statt Vorwürfe zu machen oder mit Bestrafungen zu drohen, sollten Eltern die Kontinenzentwicklung positiv verstärken. Neben Lob für jede Nacht, in der die Kinder nicht eingenässt haben, wirkt dabei das Hervorheben von trockenen Nächten in einem kindgerechten Kalender motivierend (z. B. mit Aufkleber, Smileys). Hilfreich ist auch das Verringern der Trinkmenge vor dem Schlafengehen. Nach Möglichkeit nimmt das Kind etwa zwei Stunden bevor es ins Bett geht das letzte Getränk zu sich.
Ab einem Alter von sieben Jahren bietet sich darüber hinaus unter Umständen eine apparative Verhaltenstherapie (AVT) an. Dabei registriert ein Weckapparat (z. B. „Klingelhose“, „Klingelmatte“) Nässe über einen Feuchtigkeitsfühler und signalisiert dies durch ein Klingeln oder Vibrieren. Mit der Zeit koppelt das Gehirn den nächtlichen Urinfluss mit einer belästigenden Erfahrung und gibt das Signal ihn zu stoppen. Die AVT dauert mindestens zwei bis drei Monate. Besonders in der Anfangsphase wachen zuerst die Eltern auf, die ihr Kind dann wecken müssen.
Zeigt die AVT-Therapie keine zufriedenstellende Wirkung oder lehnen die Eltern diese Option ab, kann eine medikamentöse Behandlung mit Desmopressin erwogen werden. Auch kritische Situationen wie Klassenfahrten oder Urlaubsreisen können mit der Gabe von Desmopressin überbrückt werden. Eine Behandlung mit Desmopressin sollte ausschließlich in enger Begleitung durch einen Kinder- und Jugendarzt erfolgen.