Aktien – Es ist eine Milchmädchen-Hausse
A&W RedaktionViele Anleger verfolgen die Kurse ungläubig. Ein Blick auf die Kursentwicklung seit Silvester lässt nicht erahnen, dass gerade der größte Wirtschaftseinbruch der Nachkriegsgeschichte hinter uns liegt. Man sollte es aber besser nicht vergessen, meint Finanz-Experte Rolf Ehlhardt*.
Die steigenden Kurse haben drei Ursachen: Erstens haben die Notenbanken eine Unmenge an Liquidität geschaffen. Diese ist ein Treibstoff für die Aktienkurse. Zweitens werden die Zinsen auf lange Sicht nahe Null bleiben. Mittelfristig werden Aktienanleger daher ein höheres KGV akzeptieren, zumal die Notenbanken mit aller Macht steigende Zinsen verhindern. Der dritte Grund ist die Psychologie: Es herrscht der Glaube, das Schlimmste liegt hinter uns, es geht wieder aufwärts.
Auf der anderen Seite gibt es ausreichend Gründe, warum die momentane Hausse nicht von Dauer sein wird.
Das Trendfolge-Modell
Viele Produkte, Computerprogramme und Strategien beruhen auf dem Trendfolge-Modell. Solange die Kurse steigen, muss gekauft werden (die Hausse nährt die Hausse). Wenn jedoch die Börsen die Richtung umkehren, müssen die gleichen Börsenteilnehmer verkaufen, eventuell auf Teufel komm raus. Es bestimmen also weniger die Anleger die Kurse, sondern die Performance-Profis und Zocker.
Wenn ich mir die Kurse von Apple (ist mehr wert als alle DAX-Werte zusammen), Tesla, Amazon oder von Biotechs wie Curevac (ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern, dass noch nie Gewinn gemacht hat und das in der Hoffnung auf einen Corona-Impfstoff mit 10 Milliarden Euro bewertet wird und damit doppelt so teuer ist wie die Lufthansa), dann werde ich doch etwas an das Jahr 2000 erinnert.
Aktienkurse folgen den Gewinnen
Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Aktienkurse irgendwann den Gewinnen anpassen. Diese sind auf die Wirtschaftsentwicklung angewiesen. Hier ist der massive Abbau von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie, bei der Luftfahrt, bei Banken, Kaufhäusern und Hotels in vollem Gange. Gehaltserhöhungen und Boni sind weitestgehend ausgesetzt. Das ist kein gutes Umfeld für einen notwendigen Konsumboom.
Andere Risiken werden schlicht ignoriert. Die Politik will die Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht bis März 2021 verlängern. Ich vermute, dass diese sogar bis Ende 2021 verlängert wird, denn im Herbst 2021 wird gewählt. Schon heute gibt es laut Creditreform etwa 500.000 Zombie-Unternehmen, von denen die meisten nicht überlebensfähig sind. Bis Ende März 2021 würde deren Zahl auf 800.000 steigen. Das ist Konkursverschleppung. Am Ende könnte eine nicht kalkulierbare Kettenreaktion entstehen, die sogar gesunde Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Wachsende Gefahr wird ignoriert
Während die positiven Sichtweisen in den Aktienkursen inzwischen weitestgehend eingepreist sind, haben die Marktteilnehmer die Risiken zurückgestellt. Auch die wachsende Gefahr der zweiten Pandemiewelle wird derzeit außer Acht gelassen.
Anleger sollten die steigenden Kurse nutzen und ihre Liquidität durch Aktienverkäufe peu à peu erhöhen. Gleichzeitig gilt es, Kursrückschläge bei Edelmetallen zu nutzen, um deren Anteil am Vermögen auf bis zu 20 Prozent auf- oder auszubauen.
*Der Autor: Rolf Ehlhardt ist Vermögensverwalter bei der I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH in Mannheim.